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Höllenengel

Höllenengel

Titel: Höllenengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thrainn Bertelsson
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liebsten
würde ich alle Tabletten schlucken, die ich in der Tasche
habe, und von allem davonschweben. Aber tue ich es? Nein. Ich nehme
immer nur zwei. Das würde ein Junkie nicht schaffen. Ein
Junkie würde sich in den Schutz des Rausches
flüchten.
    Das tue ich nicht. Ich widerstehe dem Medikamentenmissbrauch. Ich
benutze die Medikamente nur, um trocken zu werden. Und wenn ich
trocken bin, täusche ich niemanden.
    *****
    Nachdem sie den dritten Leichnam seziert hatten, legten sie
gemeinsam fest, welche Informationen sie der Polizei zukommen
lassen konnten, schon bevor der eigentliche Autopsiebericht
geschrieben war. Sie waren sich einig, dass, wenn man das Klima der
letzten Zeit und die vermutliche Temperatur im Sommerhaus in
Betracht zog, mindestens fünf Tage vergangen sein mussten,
seit die Männer getötet worden waren. Von denselben
Grundlagen ausgehend konnten kaum mehr als zehn Tage seit dem Tod
der Männer vergangen sein.
    »Ohne Gewähr würde ich sagen, eher fünf als
zehn«, sagte Sveinn. »Wie der Fette im Inneren aussah,
hat nichts zu bedeuten. Wenn das Gedärm durchstochen wird,
sind die Bakterien schnell auf dem Plan. Verdammt, es war Wahnsinn,
zu sehen, wie der Besenstiel nach rechts gerichtet worden ist, um
das Herz zu umgehen.«
    Þórhildur war es nicht gewohnt, das Auftreten anderer
Menschen kommentieren zu müssen. Diesmal war es aber wohl
angebracht.
    »Entschuldige, Sveinn«, sagte sie, anstatt ihn mit
Svenni anzusprechen, wie sie es gewöhnlich tat. »Ein
Rechtsmediziner darf keine Ausdrücke wie >der Fette<
benutzen, wenn er von Toten spricht, die ihm anvertraut wurden. Und
dann flucht man auch nicht am Arbeitsplatz. Das gesamte Auftreten
eines Rechtsmediziners soll von Respekt seiner Aufgabe
gegenüber und von wissenschaftlichem Interesse geprägt
sein. Der Sinn unserer Tätigkeit ist es, nach der Wahrheit zu
suchen. Das dürfen wir nicht vergessen. Es ist tödlicher
Ernst. Das Schild dort an der Wand hängt da, um uns daran zu
erinnern.«
    In Sektionssälen in der ganzen Welt hängen Schilder, die
dasselbe lateinische Zitat tragen: Hic locus est ubi mors gaudet
succurrere vitae.
    An diesem Ort freut sich der Tod, dem Leben beizustehen. Þórhildur
war erstaunt, wie nahe Sveinn diese freundliche Anmerkung zu gehen
schien. Er hatte vor Zufriedenheit über das Lob gestrahlt, das
er für seine Handfertigkeit und die flinke Arbeitsweise
bekommen hatte.
    Jetzt fiel ihm das Lächeln aus dem Gesicht, und einen kurzen
Augenblick lang schien es Þórhildur, als bräche
er gleich in Tränen aus.
    »Was soll das?«, murmelte er. »Alles ist
vergänglich. Es ist ja nicht so, als wären es lebendige
Menschen.«
    Plötzlich ist er empfindlich, dachte sie. Eine ordinäre
Ausdrucksweise ist ja oft ein Zeichen dafür, dass die Menschen
dünnhäutig sind.
    Dennoch tat es ihr leid, wie bedrückt der Kerl war.
    Deswegen konnte sie sich nicht dazu durchringen, kompromisslos Nein
zu sagen, als Sveinn sie wieder drängte, nicht
aufzuhören, bevor sie ihren bisherigen Rekord an Autopsien an
einem Tag überboten hatten.
    Um sich von der Betroffenheit ihres Schülers freizukaufen,
hörte sie sich selbst vorschlagen, eine weitere Obduktion
vorzunehmen. »Nicht, um irgendwelche Rekorde zu
brechen«, sagte sie. »Sondern weil du heute so gut
drauf bist. Und du hast auch recht, dann haben wir morgen mehr
Zeit, die Berichte zu verfassen.«
    Sveinn konnte seine Zufriedenheit nicht verbergen, auch wenn er
schon alt genug war, um sich Luftsprünge und Hurrarufe zu
sparen.
    So sind sie alle, diese Jungs, dachte sie. Ständig mühen
sie sich ab, irgendwelche Heldentaten zu vollbringen und Rekorde
aufzustellen, nur damit sie Lob bekommen.
    Sogleich fühlte sie einen schmerzhaften Stich im Herzen, als
sie an den Jungen dachte, der sich nicht nach ihrem Lob
sehnte.
    Magnús, wo bist du?, dachte sie. Lass mich wissen, wo du
gelandet bist. Gib mir eine Gelegenheit, dir zu sagen, wie sehr ich
mich selbst dafür hasse, dass ich dich enttäuscht habe.
Gib mir nur eine Gelegenheit, dir meine Fürsorge zu
zeigen.
    Sie bemerkte, dass Sveinn dastand und sie anschaute.
    Er hatte sie anscheinend nach etwas gefragt und wartete auf die
Antwort.
    »Entschuldige«, sagte sie. »Ich war irgendwie
abwesend. Was hast du gesagt?«
    »Ich habe dich gefragt, ob du den Gehängten oder den
Ertrunkenen nehmen willst?«
    »Das kommt für mich auf dasselbe heraus«, sagte
sie.
    »Du hast sie entgegengenommen, als ich im Ausland
war.
    Du

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