Hoellenengel
er einmal seine
Wohnung verließ, um die Vorräte aufzustocken, und eine
Gruppe von Jugendlichen vor dem Gebäude bemerkte.
Mit seinem Talent zum logischen Denken vermutete der Professor,
dass es sich hierbei um Beteiligte an einem jener vielen
Einbrüche handeln könne, die er in den vergangenen
Monaten hatte ertragen müssen. Er tat so, als ob nichts sei,
und verließ das Haus, als wäre er unterwegs in den Rimi
Hüpermarket.
Als er um die nächste Straßenecke gebogen war, hielt er
an und lugte vorsichtig um die Ecke, und schwupps war die
Jugendgang verschwunden.
Wenn Professor Kukk die Gelegenheit gehabt hätte, seine Taten
zu bereuen, hätte er im Nachhinein betrachtet zweifellos die
Notrufnummer 112 wählen sollen.
Aber das sagt sich leicht.
Vorsichtshalber hatte Professor Kukk sein Mobiltelefon zu Hause
gelassen, denn in den letzten Wochen war er dreimal am helllichten
Tag auf offener Straße ausgeraubt worden.
In seinem Fall wäre es die beste Lösung gewesen, sich
eine Telefonzelle zu suchen und die Polizei anzurufen, aber
Professor Kukk fühlte Heldenmut in sich aufsteigen und
beschloss, zurückzueilen, in die Wohnung zu schleichen und die
Jugendlichen so in die Falle zu locken. Weiter reichten die
Planungen des Professors leider nicht.
Die Gang von Jugendlichen, die nur drei junge Leute umfasste, Vello
Viljan und Hanneliis, seine Freundin, Jaagub, sowie deren Bruder,
hatte die feuchte Wäsche heruntergerissen, die der Professor
gerade zum Trocknen auf den Flur gehängt hatte. Hanneliis
hatte sich ein Laken umgewickelt und die langen weißen
Unterhosen des Professors auf den Kopf gezogen und wedelte damit
wie eine Bauchtänzerin vor den Gesichtern der Jungen
herum.
Wie Professor Kukk es von seinen Studenten gewohnt war, verstummten
die Jugendlichen plötzlich, als sie ihn in der Tür
wahrnahmen. Sowie er seine Stimme erhob, um ihnen sein Vorhaben
mitzuteilen, die Polizei zu rufen, reagierten Vello und Jaagub
blitzschnell und zogen ihn ins Badezimmer, und Hanneliis schloss
die Wohnungstür, die der Professor sich noch nicht zu
schließen bequemt hatte.
Vello teilte dem Professor offen und ehrlich mit, es täte
ihnen sehr leid, dass er so hereingestürmt wäre, ohne
auch nur anzuklopfen, und dass er demnach in der Lage sei, sie zu
identifizieren.
Professor Kukk verbesserte seine Lage nicht unbedingt, indem er
damit prahlte, ein so gutes Personengedächtnis zu haben, dass
er niemals ein Gesicht vergäße, das er einmal gesehen
habe. Was stark übertrieben war.
Ohne weitere Worte zu wechseln tauchten die jungen Männer den
Kopf des Professors gemeinsam in die Klosettschüssel, und das
Letzte, was Nigul Kukk in diesem Leben hörte, war das Lachen
und Kichern von Hanneliis, die ein fröhliches Mädchen war
und die lustigen Seiten des Lebens zu schätzen
wusste.
Als Andrus Reelika Nuul die Nachricht überbrachte, wurde sie
fuchsteufelswild.
»Wer hat ihnen erlaubt, ihn zu ersäufen?«, fragte
sie.
»Es war nicht vorgesehen, ihn so einfach davonkommen zu
lassen.«
Andrus zuckte cool mit den Schultern.
»Sie sind Kinder, sie spielen gern«, sagte
er.
Die Leiche des Professors wurde erst drei Monate später
gefunden, als die Menschen, die auf derselben Etage wohnten, darin
übereinkamen, dass der Geruch im Treppenhaus ein anderer
wäre als der der berüchtigten Kohlsuppe, die der
Professor sich gewöhnlich kochte.
Den Vorschriften entsprechend riefen die Polizisten einen
Kriminalpolizisten und einen Arzt an den Tatort, bevor die Leiche
abtransportiert wurde. Es handelte sich um erfahrene Leute, die ihr
Fazit schnell zum Ausdruck brachten: Ein weiterer alter Herr, der
nicht mit Fortschritt und Wachstum klarkam. Selbstmord.
*****
Wäre Frau Nuul eine offenere Person gewesen und hätte
anderen ihre Antipathie gegenüber ihrem alten Ausbilder
anvertraut, hätte der eine oder andere es wahrscheinlich
krankhaft gefunden, wie hasserfüllt sie war.
Frau Nuul war anderer Auffassung. Sie war Wissenschaftlerin und
betrachtete das Dasein in einem logischen Zusammenhang von Ursache
und Wirkung. Professor Kukk hatte sie gemobbt, als sie sich im
Chemiestudium seiner Führung beugen musste. Der Grund für
das Mobbing war, dass sie, ihre Persönlichkeit, ihre Stimme,
ihre Art zu sprechen und ihr Auftreten ihm auf die Nerven gingen
und er sich in einer Position befand, ihr dafür das Leben
unerträglich zu machen. Professor Kukk hatte sie tyrannisiert
und ihr den Abschluss
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