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Hoellenengel

Hoellenengel

Titel: Hoellenengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thráinn Bertelsson
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bis jetzt gemacht hast, waren
Dummejungenstreiche. Die Zeit der Spielchen ist vorbei. Heute
beginnt der Ernst des Lebens. Verstehst du?«
    »Ja.«
    »Gut, mein Freund«, sagte Andrus. »Jetzt kannst
du dir aussuchen, ob du das hier als Souvenir behalten willst oder
ob du die Gelegenheit nutzt, um wenigstens einen kleinen Teil von
dir in geweihter Erde zur letzten Ruhe zu betten.«
    Er streckte die Hand vor. Auf der Handfläche lagen die zwei
vorderen Glieder des kleinen Fingers, leblos.
    Andrus lächelte und steckte den abgebissenen Finger in die
Brusttasche der Jacke seines Neffen. Wenn seine Schneidezähne
nicht blutverschmiert gewesen wären, hätte man das
Lächeln freundlich nennen können.
    *****
    Reelika Nuul bekam langsam den Verdacht, das Gras auf dem Grab sei
nicht auszurotten. Was wiederum darauf schließen ließ,
dass Umweltverschmutzung doch nicht so gefährlich für die
Flora war, wie behauptet wurde. Seit dem Begräbnis ihres alten
Professors hatte sie jede Woche verschiedene Giftstoffe auf dem
Grab verteilt, ohne dass man einen Erfolg sehen konnte; das Gras
gedieh weiter.
    Allerdings war Professor Nigul Kukk früher gestorben, als sie
vorgesehen hatte.
    Reelika Nuul war Chemikerin. Als Naturwissenschaftlerin hatte sie
ihre Zweifel daran, dass schlechte Menschen nach dem Tod in die
Hölle kommen. Um sicherzugehen, hatte sie sich vorgenommen,
den Professor die Qualen des Hades bereits diesseits des Grabes
kennenlernen zu lassen; dieselben Qualen, denen er sie ausgesetzt
hatte, als sie das Pech hatte, an der Universität in Tallinn
seine Studentin zu sein. Und zwar mit Zins und
Zinseszins.
    Für geradezu lächerliche Bezahlung bekam Andrus
verschiedene Gangs aus dem Unterwelt-Milieu dazu, in
regelmäßigem Abstand in die Wohnung von Professor Kukk
an der Hiiju-Suurtüki-Straße einzubrechen und
fleißig bei ihm aufzuräumen.
    Die Polizei hörte bald auf, sich um die Anzeigen des
Professors, der ständig Einbrüche und Verwüstungen
meldete, zu kümmern, und riet ihm, die Wohnung zu verkaufen
und an einen Ort zu ziehen, wo niemand etwas gegen ihn habe. Aber
alle Immobilienmakler, die anfangs so optimistisch waren, sagten
ihm dann, dass eine Wohnung mit einem so schlechten Ruf
unverkäuflich und damit wertlos sei.
    Reelika Nuul achtete gut darauf, dass der Professor bei diesen
Aktionen nicht zu sehr zu Schaden kam.
    »Ich will nicht, dass er mir entkommt, indem er Selbstmord
begeht, bevor ich ihm zurückgezahlt habe, was ich ihm
schulde«, sagte Reelika.
    Den Postboten und die beiden Frauen, die morgens >Eesti
Päevaleht< austrugen, davon zu überzeugen, dass
Professor Kukk sich in einer mentalen Quarantäne befand, die
nicht von Briefen oder Zeitungen gestört werden durfte, war
einfach.
    Das Kabel der Fernsehantenne wurde genauso oft wie das des Telefons
gekappt, was an sich keinen Unterschied machte, denn der Professor
besaß ein altes Transistorgerät und konnte sich auf dem
Laufenden halten, indem er Radio hörte. Er nahm so gut wie
täglich zwischen zwei und vier Uhr am Nachmittagsprogramm
von Eesti
Raa dio
2 aktiv
teil, trotz der horrenden Mobilfunkkosten, bis die Redakteure sich
darauf verständigten, ihn mit seinem boshaften Genörgel
über das Chaos und die Entartung, die der Kapitalismus
hervorrief, nicht mehr in die Sendung zu lassen, weil sie
befürchteten, er könne andere Hörer dieser beliebten
Rundfunksendung vergraulen.
    Vandalen stahlen zunächst die Reifen vom Lada des Professors,
dann schlugen Barbaren die Fenster und Türen ein und
schließlich blieb nur noch die Rückbank übrig in
einem Skelett von Auto, das von der Polizei entfernt wurde, nicht
ohne vom Besitzer dafür eine Strafzahlung zu
verlangen.
    Professor Kukk nahm die Heimsuchungen mit stoischer Ruhe auf. Er
war weit davon entfernt, seine frühere Studentin, die
Restnull, des Psychoterrors zu verdächtigen.
    Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus begannen die Sitten zu
verrohen und der Professor konnte beobachten, wie sein Volk den
Totentanz mit dem Kapitalismus und den westlichen Ländern
begann. Er betrachtete sich selbst als belagerte Stadt, die letzte
Bastion menschlicher Rechtschaffenheit, und seine Wohnung in der
Hiiju-Suurtüki-Straße als eine Art Masada-Festung der
modernen Zeit. Er las zu seiner Erbauung über den Herrscher
der Zeloten, Eleazar ben Ya'ir und seine Männer, die es
vorzogen, durch die eigene Hand zu sterben, als vor der Armee der
Römer zu kapitulieren.
    Zum vorzeitigen Tod Professor Kukks kam es, als

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