Hoellenengel
verweigert, nachdem sie das Studium
eigentlich beendet hatte. Zwei Jahre lang war es im Forschungslabor
ihre Aufgabe gewesen, Benzylacetat herzustellen. Wieder und wieder
hatte er ihr kurz angebunden befohlen, diese lächerlich
einfache Reaktion zu wiederholen, normalerweise eine
Einstiegsübung für Erstsemester.
Der Professor erklärte das damit, dass er ihr auf diese Art
und Weise Disziplin und Präzision bei der Arbeit
beibrächte.
Die tatsächliche Erklärung war die, dass er, um sein
Gehalt aufzubessern, den Stoff auf dem Schwarzmarkt verkaufte, und
zwar einem Bekannten, der in seinem Badezimmer eine kleine
Süßwarenherstellung betrieb, denn Benzylacetat ist
bekanntlich ein Birnenduft- bzw. Aromastoff, der unter anderem
für Bonbons verwendet wird.
Professor Kukk hatte an sich nichts gegen autistische Menschen,
aber er achtete auf seinen Ruf und hatte nicht vor, sich
später vorwerfen lassen zu müssen, er habe einer
Psychopathin zum Doktortitel verholfen.
Was Frau Nuul dem Professor später antat, war nicht mehr oder
weniger als das, was er verdient hatte, und er hatte es sich selbst
zuzuschreiben.
Krankhaft?
Nein. Einfach und logisch.
Moralisch verwerflich?
Richtig und falsch, gut und böse waren für Frau Nuul
Begriffe, die genauso wenig in eine wissenschaftliche Diskussion
gehörten wie das Vaterunser.
Das Gras auf dem Grab bereitete ihr immer wieder Kopfschmerzen. Sie
hatte sich geschworen, dafür zu sorgen, dass dort kein Halm
mehr gedieh, aber das Gras war zählebiger, als sie gedacht
hatte. Doch sie gab nicht auf.
Nach Feierabend beschäftigte sie sich mit einem interessanten
Stoff, der 2,4,5-T oder Trichlorphenoxyessigsäure genannt
wird. Die Beschäftigung damit war spannend und erforderte bei
der Herstellung ein wenig Umsicht, denn bei der Produktion bilden
sich lebensgefährliche Dioxine, die irgendwelche skrupellosen
Typen dem Präsidenten der Ukraine, Juschtschenko,
eingeflößt hatten und nach denen in bestimmten Kreisen
eine große Nachfrage besteht. Normales Gift wie 2,4-D und
Picloram zu kaufen war kein Problem, aber 2,4,5-T musste sie selbst
herstellen. Wenn man diese drei Stoffe im passenden Verhältnis
mischt und dann in PCB löst, das sehr leicht erhältlich
ist, entsteht ein phantastisches Gift, das den Kosenamen Agent
Orange trägt und von den Amerikanern
mit hervorragendem Erfolg im Vietnamkrieg eingesetzt
wurde.
Zehn Liter Agent Orange dürften mehr als
genug sein, um allen Bewuchs auf dem Grab und seiner nächsten
Umgebung für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre
auszulöschen und dann gab es sicher einen noch
wirksameren Stoff.
Sie schrak aus diesen Tagträumen auf, als Andrus
plötzlich neben ihr stand. Erstaunlich, wie lautlos sich
dieser wuchtige Körper bewegen konnte. Er sagte nichts,
sondern schaute nur auf seine Armbanduhr.
05:57.
Er hatte natürlich recht. Es war Zeit, zur Arbeit zu
gehen.
*****
Es war exakt 06:00:00 Uhr.
Karl hielt seinen Arm angewinkelt vor sich und starrte auf seine
Armbanduhr, als ob er kurz davor wäre, eine bemannte Rakete in
den Weltraum zu schießen.
»Jetzt«, sagte er und zog sich die Skimütze
übers Gesicht. »Von jetzt an verhüllen wir unser
Gesicht, bis die Aufgabe abgeschlossen ist und ich die Anweisung
gebe, das Gelände zu verlassen.«
Der ist bestimmt eine Scheiß-Schwuchtel, dachte Nordpol.
Erinnert mich an einen Sportlehrer, von dem alle wussten, dass er
verkehrt rum war und der gefeuert wurde, weil er kleine Jungs
befummelt hatte. An einer kleinen Aktion teilzunehmen ist die eine
Sache, aber eine andere, schwachsinnige Direktiven von einem
Psychopathen zu bekommen. Das Einzige, was jetzt noch fehlt, ist,
dass er sagt, er setzt sich auf einen Ast und gibt uns das Zeichen
zum Angriff, indem er wie eine Eule kreischt.
Genau nach Plan war Nordpol als Erster am Ort des Geschehens
angelangt, und als Karl und Ulrich erschienen, hatte er das
Gelände bereits erkundet und erstattete nun
Bericht.
»Ein Mann hält im westlichen Gebäude Wache, wo auch
eine Art von Produktion stattfindet. Er hat einen Hund bei sich.
Weiß nicht, ob da drinnen auch irgendwelche Waffen sind. Ich
wollte mich wegen des Hundes nicht danach umsehen. Der hat mich
bemerkt, aber der Wächter hat ihm befohlen, still zu sein. Im
Wohnhaus sind zwei Männer, die AKM und zig 30-Schuss-Magazine
haben. Und dann gab es da eine fabelhafte Waffe, eine
doppelläufige Kalaschnikow, deren unterer Lauf ein winziger
Granatwerfer ist. So was hab ich noch
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