Hoellenengel
die Bewegungen des Hummers
anzuhören. Víkingur nahm wahr, dass zwar Sveinn
eingetroffen, von Þórhildur aber nichts zu sehen
war.
Der Junior hatte es inzwischen satt, immer wieder dieselben Fragen
zu beantworten, und begann stattdessen, die Polizei zu
löchern, welche Vorkehrungen sie zu treffen gedächte, um
ihn und seine Mutter zu schützen.
»Mein Vater wird entführt, ohne dass die Polizei etwas
davon weiß. Dann wird er ermordet aufgefunden und ihr wisst
nicht, wer es getan hat. Und jetzt steht ihr hier wie die
Hampelmänner mitten auf der Straße und faselt von
irgendwelchen Autoschlüsseln, während meine Anwältin
am helllichten Tag ermordet worden ist. Seid ihr etwa so
dämlich, dass ihr nicht begreift, dass Auður versehentlich
umgebracht worden ist? Dass es einem anderen
galt?«
»Und zwar wem?«, fragte Randver.
»Mir natürlich. Ist das nicht halbwegs
sonnenklar?«
Der Junior schaute mit abgrundtiefer Verachtung um sich.
»Willst du damit sagen, dass derjenige, der ... der das getan
hat, sich bei seinem Opfer geirrt hat und gedacht hat, sie
wäre du?«, fragte Dagný.
Der Junior bekam zu viel und verdrehte die Augen.
»Glaubst du, ich bin ein Idiot? So eine Art Verwechslung
meine ich nicht. Jemand hat versucht, mich zu bekommen, aber sie
stattdessen genommen.«
»Wer trachtet dir nach dem Leben?«, fragte
Randver.
»Und warum?«
»Wie zur Hölle soll ich das wissen?«, entgegnete
der Junior wütend. »Haben wir nicht die Polizei, um das
herauszufinden?«
Randver versuchte, dem jungen Mann klarzumachen, dass es zu seinem
Vorteil sei, die Polizei über mögliche Gründe
aufzuklären, weshalb jemand eine offene Rechnung mit seinem
Vater und mit ihm haben könne. Der Junior hatte nicht die
Geduld, sich diese Belehrung anzuhören, schließlich
brauchte er keine Polizei, um den Mörder seines Vaters zu
finden. »Kümmert ihr euch einfach um eure
Angelegenheiten«, sagte er. »Ich kümmere mich um
meine.« »Was meinst du denn damit?«, fragte
Randver. »Meinst du etwa, die Polizei sollte sich nicht um
Morde kümmern, sondern es den Hinterbliebenen überlassen,
sie zu rächen?«
Víkingur begriff, dass es wenig Aussicht gab, von diesem
gereizten jungen Mann eine nützliche Aussage zu bekommen. Er
sah, dass Sveinn Dagný etwas erklärte und auf die
Leiche auf dem Vordersitz zeigte. Er ging zu ihnen.
»Grüß dich«, sagte er und schüttelte
Sveinn die Hand.
»Weißt du vielleicht, wann Þórhildur
eintreffen wird?«
Sveinn verneinte.
»Sie hat ihr Mobiltelefon ausgeschaltet«, sagte er.
»Und dann bin ich in Windeseile
hierhergefahren.«
Víkingur spürte, wie sich urplötzlich ein
schlimmer Verdacht in ihm breitmachte. Sollten die Versprechen von
heute Morgen wirklich so schnell vergessen worden sein?
»Habt ihr heute nicht zusammen gearbeitet?«
»Doch, doch, den ganzen Tag. Es war kein Zuckerschlecken. Wir
haben drei Obduktionen fertig gemacht und dann habe ich allein noch
eine weitere gemacht, nachdem Þórhildur gegangen
war.«
»Wann ging sie denn?«
»Das wird sicher schon so gegen fünf Uhr gewesen
sein.«
»Hat sie nichts gesagt?«
»Na ja, das war ja das Seltsame. Wir wollten noch einen
weiteren Leichnam machen. Ein Selbstmord, der eigentlich vor diesen
Leichen aus dem Sommerhaus reingekommen ist. Es war ein junger Mann
und es wirkte, als ob Þórhildur ihn irgendwie kannte.
Jedenfalls ist sie so erschrocken, dass sie ging, ohne etwas zu
sagen. Es kann sehr unangenehm sein, auf jemanden zu treffen, den
man kennt.«
»Kannst du den Toten beschreiben?«
»Ja, das kann ich.« Sveinn schloss die Augen, als
sähe er einen Film der Autopsie auf der Innenseite seiner
Augenlider: »Dunkelhaarig, Augenfarbe grün,
Größe 183 Zentimeter, Gewicht 72 Kilo. Selbstmord,
ungewöhnliche Erhängung erhängte sich an der
Türklinke , Verletzung an der Augenbraue, könnte
gestürzt sein. Hoher Alkoholspiegel.«
»Woran hast du erkannt, dass Þórhildur die
Leiche identifiziert hat?«
»Ich habe natürlich nicht geschnüffelt, aber ich
habe gesehen, dass sie Tränen in den Augen hatte. Sie begann
eigentlich direkt zu weinen und dann rannte sie
raus.«
Das klang sehr seltsam. Die Polizei war gebeten worden, sich nach
Magnús umzusehen. Ein Foto von ihm hing im Aufenthaltsraum
der Polizisten mitsamt der Bitte, Víkingur zu
benachrichtigen, wenn ihn jemand sähe. Konnte es sein, dass
dieser Zettel an allen im System vorbeigegangen war und die Leiche
von Magnús
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