Hoellenengel
und sie anzugreifen.
»Das ist ja eine Frau«, sagte er erstaunt.
»Ihre Augen sind geöffnet«, meinte Sússa.
»Halb geöffnet«, korrigierte Teitur sie.
»Kann es sein, dass sie total stoned ist? Hast du ein gutes
Bild von ihr bekommen?«
»Sie ist so still, als wäre sie ausgestopft«,
sagte Sússa.
»Atmet sie überhaupt? Kann sie einen Herzinfarkt
bekommen haben?«
Um besser ins Auto sehen zu können, drückte Sússa
die Stirn an die Windschutzscheibe und schirmte ihre Augen mit
beiden Händen ab.
»Was siehst du?«, fragte Teitur. »Bewegt sie sich
nicht?«
»Ich habe zwar noch nie eine Leiche gesehen«, sagte
Sússa, »aber dieser Mensch lebt nicht
mehr.«
»Wie kannst du dir da sicher sein?«, fragte Teitur, der
sein Glück nicht fassen konnte, als Enthüllungsjournalist
in aller Öffentlichkeit eine Leiche zu finden.
»Es ist Blut an ihrer Stirn und außerdem ragt ein
Spieß aus ihrer Brust.«
»Lass mich sehen«, sagte Teitur und schob das
Mädchen zur Seite.
Ihre Beschreibung war nicht ganz exakt. Auf der Stirn der Frau war
Folgendes zu sehen: Die Runen waren mit Blut
geschrieben.
Der Mörder hatte
seinen Finger in die blutige Wunde gehalten, dort, wo ein runder
Stab etwa 10 Zentimeter aus der Haut ragte, an der Stelle, wo Hals
und Schlüsselbein sich treffen, auf der linken Seite, und der
dann am Hals entlanglief und unter ihrem Kiefer wieder verschwand.
Das war die Erklärung dafür, dass die Leiche den Kopf
aufrecht gehalten hatte. »Wer könnte das sein?«,
fragte Sússa. »Die Mädchen vom Octopussy sind
nicht so alt.«
»Diese Frau heißt Auður Sörensen«, sagte
Teitur. »Anwältin am Obersten Gericht. Keine
Revuetänzerin.«
*****
»Sie war heute Mittag quicklebendig«, sagte Terje.
»Dagný, erinnerst du dich? Wir haben mit ihr
gesprochen?«
Dagný schaute ihn an, ohne zu antworten. Sie waren
eingeteilt worden, die Umgebung des Hummers mit gelbem Plastikband
abzusperren. Terje war offenbar darüber entsetzt, einen
Menschen tot zu sehen, mit dem er sich am selben Tag noch
unterhalten hatte. Sie war erfreut, dass ihr Kollege kurzzeitig die
Rolle des coolen Typen abgelegt hatte.
»Was ist hier eigentlich los?«, sagte er. »Wenn
wir nur einen Funken Verstand gehabt hätten, wäre sie
noch am Leben.«
»Was maulst du jetzt schon wieder?«, fragte
Dagný.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er. »Ich
weiß nur, dass ich in der nächsten Zeit keine weiteren
Leichen sehen möchte. Ich begreife jetzt erst, dass wir uns
beeilen müssen, weil es um Leben und Tod geht. Ich dachte, es
sei vorbei. Ich dachte, das im Sommerhaus sei eine Art
Endabrechnung und wir könnten in aller Ruhe versuchen, die
Spuren zu verfolgen. Aber so ist es nicht. Während wir auf
Besprechungen herumhocken und über Nazikritzeleien und
Wappensymbole labern, vergnügt sich der, den wir längst
hätten einsperren müssen, damit, weitere Menschen
umzubringen.«
»Was hast du erwartet?«, fragte sie.
»Wir müssen etwas tun«, sagte Terje. »Wir
kommen überhaupt nicht voran. Der arme Randver hat keinen Plan
und Víkingur verhält sich, als sei ihm ein Ziegelstein
auf den Kopf gefallen. Wir drehen uns nur im Kreis. Die Einzigen,
die uns helfen, sind irgendwelche Loser, die noch verwirrter sind
als wir.«
»Das muss wohl jeder selbst beurteilen«, sagte
Dagný.
»Siehst du denn nicht, wie hoffnungslos und daneben das alles
ist? Die gesamte Kripo und die technische Abteilung steht hier
draußen auf der Straße und wartet darauf, dass die
verdammten Autoschlüssel auftauchen, damit man an die Frau
herankommt, die ermordet worden ist, während die versammelte
Polizeimannschaft am Tisch saß und Kaffee getrunken
hat.«
»Was hättest du tun wollen?«
»Das weiß ich nicht. Jedenfalls hätte ich
längst das Auto öffnen können, ohne darauf zu
warten, dass irgendwelche Schlüssel gefunden
werden.«
»Und hättest dabei mögliche Spuren
verwischt?«
»Welche Spuren sollen denn an der Autotür sein? Ein
ganzes Sommerhaus ist durchkämmt worden, ohne auch nur einen
einzigen Fingerabdruck zu finden.«
»Jetzt mach dich mal locker, mein Guter. Ich kann dir
versprechen, dass Randver weiß, was er tut.«
»Seit wann versteht Randver etwas von dem, was er tut? Ich
habe schon anderes von dir gehört.«
»Er hat vielleicht nicht das Pulver erfunden, aber er hat
mehr Erfahrung als wir beide zusammen, und dann ist ja auch noch
Víkingur da.«
»Erfahrung mit was denn?«, fragte
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