Hoellenengel
gefunden und ins Leichenschauhaus gebracht worden
war, ohne dass Víkingur Bescheid gesagt wurde?
»Ich wette, derjenige, der das da gemacht hat, ist derselbe,
der Elli im Sommerhaus erledigt hat«, sagte Sveinn und zeigte
auf die Tote, die im Auto am Steuer saß.
»Warum bist du dir da so sicher?«, fragte
Víkingur.
»Es ist die Pfählung. Aber diesmal wurde sie eingesetzt,
um zu töten, nicht um zu foltern. Schau hier, das Ende kommt
am linken Schlüsselbein heraus. Das bedeutet, dass der Stab
nach links gelenkt wurde, zum Herzen, verstehst du. Mir scheint,
das ist das Ende eines Billardqueues, was da am Hals
entlangläuft.« »Und der Junge, von dem du mir
erzählt hast, ist der auch gepfählt
worden?«
»Nein, keineswegs. Das war nur Selbstmord. Erhängung.
Sicherlich sehr gemütlich verglichen mit dem
hier.«
Þórhildurs Telefon war immer noch ausgeschaltet.
Víkingur graute vor seiner Ankunft zu Hause. Um ganz sicher
zu sein, beschloss er jedoch, zuerst zum Leichenschauhaus zu
fahren.
»Bist du hier fertig?«, fragte er Sveinn. »Ich
meine, können wir die Leiche abtransportieren
lassen?«
»Ja, ich bin fertig«, sagte Sveinn. »Sie kann
meinetwegen weg.«
»Kannst du etwas dazu sagen, wie lange es her ist, dass sie
gestorben ist?«
»Ich kann dazu natürlich nichts auf die Minute genau
sagen, aber es ist vor mehr als einer Stunde und weniger als zwei
Stunden passiert«, sagte Sveinn. »Sie hat sich gewehrt.
Ihre Fingernägel sind abgebrochen, deswegen habe ich
Tüten über ihre Hände gezogen. Denkbar, dass sie
Hautreste von den Angreifern unter den Nägeln hat.
DNA-Proben, mit anderen Worten.«
»Kommst du mit?«, fragte Víkingur. »Ich
muss diese Leiche sehen, die du obduziert hast.«
»Kein Problem«, sagte Sveinn, dem es nicht ungelegen
kam, Punkte beim Ehemann seiner Vorgesetzten zu sammeln.
*****
Víkingur verlor nicht oft die Fassung, aber diesmal konnte
er sich nicht beherrschen. Er rief Randver an.
»Sind eigentlich nur Vollidioten bei der
Polizei?«
Die Frage überraschte Randver, der antwortete: »Meinst
du abgesehen von uns? Was ist denn los?«
»Þórhildur und ich sind nach Holland gefahren,
um ihren Sohn Magnús ausfindig zu machen. Und weißt
du, wo er gelandet ist?«
»Nein, das weiß ich nicht«, sagte
Randver.
»Er liegt im Leichenschauhaus hier in Reykjavík. Ich
habe ihn gerade identifiziert. Das ist aber nicht das
Allerschlimmste in diesem Fall. Weißt du, was das
Allerschlimmste ist?«
»Nein«, sagte Randver.
»Als seine Mutter heute mit dem Sezieren beschäftigt
war, brachte man die Leiche eines unbekannten Mannes herein. Als
sie sich umdrehte, sah sie, dass der Mann auf der Bahre ihr eigener
Sohn Magnús war.«
»Ich kann das kaum glauben«, sagte Randver. »So
etwas soll doch nicht vorkommen. So etwas darf gar nicht
passieren.«
»Es ist aber passiert. Wundert es dich da noch, wenn ich
frage, ob ausschließlich Volltrottel bei der Polizei
arbeiten?«
»Wie ist Magnús gestorben und wo?«
»Die Leiche wurde in dieser Absteige gefunden, die
Playboy-Club genannt wird, und der Arzt hier sagt, dass es
Selbstmord war, Erhängung, wahrscheinlich im Alkoholrausch und
nach starkem Medikamentenmissbrauch.«
»Schrecklich, das zu hören. Ich spreche dir mein
herzlichstes Beileid aus.«
»Danke dir.«
»Und richte Þórhildur meine Grüße
aus.«
»Sie geht nicht ans Telefon«, sagte Víkingur.
»Ich hoffe trotzdem, dass sie zu Hause ist.«
*****
Víkingur zögerte, ehe er den Schlüssel ins Schloss
steckte. Er legte das Ohr an die Tür und lauschte. Kein Ton
war von drinnen zu hören.
Ich kann das nicht, dachte er. Ich kann nicht nach Hause kommen,
ohne zu wissen, was mich erwartet. Ist sie verschwunden? Hat sie
sich einen hinter die Binde gegossen?
Ich weiß, dass sie heute ein schreckliches Erlebnis hatte,
aber das rechtfertigt nicht die Reaktion, sich bis zur
Bewusstlosigkeit zu betrinken oder zu dopen. Wir haben heute Morgen
miteinander gesprochen und sie hat versprochen ... Ich kann nicht
mit ihr zusammenleben, wenn ich mich nicht darauf verlassen kann,
was sie sagt.
Sei nicht so kompromisslos und geh nicht so hart mit ihr ins
Gericht, sagte ihm eine innere Stimme. Þórhildur macht
unheimlich schwere Dinge durch. Es ist nicht die Frage, ob du ihr
vertrauen kannst, sondern ob sie sich auf dich verlassen kann.
Gewiss kann sie sich auf mich verlassen. Ich liebe sie. Sie
weiß das. Trotzdem hat sie sich in Holland
betrunken.
Liebst du sie, wie
Weitere Kostenlose Bücher