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Hoellenengel

Hoellenengel

Titel: Hoellenengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thráinn Bertelsson
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sie ist ­ oder nur, solange sie so ist, wie
du sie haben willst?
    Ich liebe Þórhildur, so wie sie ist. Ich erkenne sie
nicht wieder, wenn sie im Rausch ist. Dann ist sie nicht mehr
Þórhildur, sondern irgendeine ganz andere Person,
distanziert, unbekannt, unsympathisch.
    Was ist das für ein Quatsch? Bier bringt dein wahres Ich
hervor.
    Nein. Bier bringt jemand anderen hervor. Der Rausch verändert
die Menschen. Menschen im Rausch sagen und tun Dinge, die ihnen bei
vollem Bewusstsein nie im Leben einfallen würden.
Þórhildur im Rausch ist wie ein anderer Mensch. Sie
ist dann wie von einem bösen Geist besessen. Glaubst du
wirklich, dass sich Dämonen in Menschen niederlassen
können?
    Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, dass gute und böse
Kräfte in unserer Welt im ständigen Wettstreit liegen.
Ich glaube, im Rausch ist man völlig schutzlos dem Bösen
ausgeliefert. Es bedeutet, das Urteilsvermögen zu
verlieren.
    Und du liebst deine Frau, solange ihr Urteilsvermögen in
Ordnung ist? Und was ist mit dir selbst ­ ist dein
Urteilsvermögen unfehlbar?
    Víkingur schüttelte den Kopf, als wolle er diese
unbequemen Gedanken abschütteln. Liebe ist ein Gefühl,
ein Geschenk an uns aus der Welt der Perfektion, in der es keine
knallharten Argumente gibt.
    Er war erleichtert, als er ihre helle Sommerjacke an einem Haken an
der Garderobe sah. Sie war also nicht verschwunden. Wahrscheinlich
hatte sie sich schlafen gelegt. Dennoch war er unruhig.
Normalerweise spürte er, sobald er die Tür hinter sich
geschlossen hatte, ob jemand zu Hause war oder nicht. Jetzt wusste
er, dass Þórhildur zu Hause war. Trotzdem fühlte
es sich an, als käme er in eine leere Wohnung.
    Er schaute in die Küche. Fand keinerlei Anzeichen dafür,
dass sie da gewesen wäre. Sah einen Lichtschein auf der
Scheibe der Schiebetür zum Wohnzimmer. Auf dem Couchtisch
stand eine brennende Kerze, halb heruntergebrannt. War sie ins Bett
gegangen, ohne die Kerze zu löschen? Das war kein gutes
Zeichen.
    Er ging hinein und beugte sich hinunter, um die Flamme auszublasen,
und sah ein weißes Blatt Papier, das zusammengefaltet auf dem
Tisch lag. Seltsam. Normalerweise hinterließen sie sich
gegenseitig Botschaften auf der Küchenbank. Er nahm das Blatt
und sah die Handschrift, die er so gut kannte.
    Geliebter Ich kann
nicht mehr.
    Ich habe ihm
gegenüber versagt und ich habe dir gegenüber
versagt.
    Ich bin gar
nichts.
    Entschuldige.
    Þ Ich küsse dich in alle
Ewigkeit.

Einundzwanzig
    Ich küsse dich in alle
Ewigkeit. In dem kurzen Moment, den man
braucht, um diese Worte zu lesen, brach Víkingurs Welt
zusammen. Er blieb allein in der schwarzen Leere stehen. Alles, was
er war und hatte, verschwand auf einen Schlag.
    Das Blatt Papier in seinen Händen wurde zu einer Lawine, die
allen Raum um ihn ausfüllte und ihn erdrückte, sodass er
keine Luft mehr bekam.
    Er stieß einen erstickten Schrei aus und warf das Blatt von
sich, rannte in den Flur und stieß die Tür zum
Badezimmer auf. In Gedanken sah er Þórhildur in ihrem
Blut in der Badewanne liegen und traute seinen eigenen Augen kaum,
als er sah, dass niemand da war. Er taumelte rücklings aus dem
Badezimmer, stieß sich den Nacken brutal am Türrahmen
und schwankte in Richtung Schlafzimmer.
    *****
    Sie trug ein weißes Sommerkleid. Das weiße Sommerkleid,
von dem Víkingur fand, dass es ihr besser stand als alle
anderen Kleidungsstücke.
    Sie lag auf der weinroten Decke des Ehebetts auf der Seite. Auf dem
Nachttisch standen eine halbleere Rotweinflasche und ein leeres
Kristallglas. Neben dem Nachttisch auf dem Boden lag eine
Tablettenpackung, und als Víkingur sich danach bückte,
sah er, dass auch noch ein Tablettenröhrchen unter den
Nachttisch gerollt war.
    Das Röhrchen war leer. Auf ihm stand: Stesolid, 5
mg.
    Víkingur Gunnarsson. Eine Tablette bei Bedarf.
    Auf dem Blisterstreifen stand: Atenolol. Alle Tabletten waren
entnommen worden.
    Víkingur strich vorsichtig das Haar von der Wange seiner
Frau und schrak zurück, als hätte er sich verbrannt. Die
Wange fühlte sich kalt und feucht an. In Panik tastete er nach
der Halsschlagader. Der Hals fühlte sich wärmer an als
die Wange. Víkingur spürte keinen Puls, sodass er an
ihrem Handgelenk danach tastete, aber auch da nahm er keinen wahr.
Die Finger waren eiskalt.
             
    Er schaute sich verzweifelt um. Auf dem Nachttisch stand ein
gerahmtes Foto. Das Bild zeigte Magnús im Alter von einem
Jahr, wie er die ersten Schritte

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