Hoellenfeuer
die Geräusche der Nacht, die durch das leicht geöffnete Fenster von außen hereindrangen. Das Rauschen der Bäume, einige letzte Vögel, das Schlagen einer Tür im Haus.
Zwei Dinge waren ihr von diesem Abend im Gedächtnis geblieben. Zwei Dinge, die noch immer in ihrem Kopf herum spukten und sie nicht losließen. Da war zunächst Bess gewesen. Nach jener merkwürdigen Szene während des Mittagessens war Bess zunächst auf Abstand zu Eleanor gegangen. Sie hatte den überwiegenden Teil des Nachmittags irgendwo auf dem Gelände verbracht und sie waren sich erst gegen Abend noch einmal begegnet, als Bess sich auf den Weg zum Parkplatz machte, um mit ihrer Mutter nach Hause zu fahren.
„Sei mir nicht böse wegen Raphael “, hatte Bess zu ihr gesagt. „Ich würde nie versuchen, mich zwischen euch zwei zu stellen. Das musst du mir glauben. Hätte ich gewusst, dass du an ihm interessiert bist, hätte ich mich euch heute nicht angeschlossen.“
Eine peinliche Stille hatte sich nach Bess‘ Worten ausgebreitet. „Es ist kompliziert“, hatte Eleanor schließlich leise gesagt. „Raphael ist ungewöhnlich. Nicht wie andere Menschen.“
Bess hatte genickt, auch wenn sie Eleanors Worte kaum in ihrer eigentlichen Bedeutung verstanden haben konnte.
„Ich weiß, dass du nicht hinter ihm her bist“, zwang Eleanor sich zu sagen, obwohl sie sich in dieser Sache keineswegs vollkommen sicher war. „Aber ich glaube, ich bin mir über meine Gefühle für Raphael selbst nicht im klaren.“
Bess hatte wieder verständnisvoll genickt und ihre Hand auf Eleanors Schulter gelegt. „Das wird schon kommen“, hatte sie gesagt. „Und wenn es geschieht, werde ich dir bestimmt nicht im Wege stehen.“
Dann hatten die beiden sich umarmt und beide hatten gewusst, dass das Gleichgewicht zwischen ihnen vorerst wiederhergestellt war.
„Ich muss mich übrigens noch für meinen Bruder entschuldigen “, hatte Bess im Anschluss noch hinzugefügt. „Er hat dich gestern ziemlich aus der Fassung gebracht, das habe ich gesehen. Ich habe mit ihm geschimpft, aber er hat behauptet, dich nicht absichtlich durcheinander gebracht zu haben. Vielleicht hat er recht; manchmal wirkt er so auf andere.“
Dann war Bess‘ Mutter Veronica gekommen. Sie hatten sich voneinander verabschiedet und Eleanor hatte den beiden nachgesehen, als der kleine Ford das Geländer von Stratton Hall mit beängstigender Geschwindigkeit verließ. Zuletzt hatten Eleanor und Bess sich noch für den kommenden Tag verabredet. Eleanor war sich zu diesem Zeitpunkt endlich sicher gewesen, dass nichts mehr zwischen ihnen stand.
Das zweite, woran sie jetzt denken musste, war bereits zuvor geschehen. Raphael hatte angeregt, Eleanor heute Nacht in ihren Träumen zu besuchen.
„Ich nehme an, du kannst mich ohne das Tetradyxol nicht in meinem Toten Palast besuchen“, hatte er gesagt. „Du dürftest ohne das Mittel nicht hellsichtig genug sein, um in meinen Geist einzudringen. Aber ich kann dich besuchen, wenn du es wünscht.“
Eleanor hatte begeistert zugestimmt. Eine Nacht mit Raphael in ihren Träumen schien ihr ein guter Weg zu sein, nicht von Alpträumen geplagt zu werden. So hatten sie sich abends von einander verabschiedet, bevor Eleanor zum Abendessen ging. Dieses Mal hatte Raphael sich ihr nicht angeschlossen.
Eleanor schaltete die Bettlampe neben sich aus und legte sich in ihr Kissen zurück. Sie war erstaunlich müde und würde in dieser Nacht sicher gut schlafen. Zumal mit Raphael in ihrer Nähe.
Ein kleines Geräusch ließ sie einige Minuten später jedoch die Augen wieder öffnen. Sie hätte nicht sagen können, worum es sich gehandelt haben mochte. In einem so großen Haus wie Stratton Hall gab es auch des Nachts zahlreiche Geräusche, von denen die wenigsten aus Eleanors Zimmer stammen konnten. Doch in diesem Fall war sich Eleanor schon in dem Augenblick, da sie die Augen öffnete, hundertprozentig sicher, dass das Geräusch in ihrer unmittelbaren Nähe entstanden war.
Sie kniff die Augen zusammen und starrte in die Finsternis ihres Zimmers. Von außen drang genug Licht durch die Gardinen ihres Fensters, dass sie die Silhouetten der Möbel erkennen konnte. Auch die Umrisse ihrer Zimmertür konnte sie deutlich ausmachen. Von dort schien das Geräusch gekommen zu sein. Eleanor musste an die Nacht denken, da Samael in ihrem Zimmer gewesen war. Konnte er es sein?
Da, jetzt hatte sie eine Bewegung neben der Tür wahrgenommen. Dort befand sich so etwas wie ein
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