Hoellenfeuer
beinahe völlig von der Dunkelheit verschluckt, kauerte ein Skelett.
Dieser Tag wurde zu einem der Ungewöhnlichsten in der Geschichte des Sanatoriums von Stratton Hall. Als die Patienten sich an diesem Tag zum Frühstück in den großen Saal begaben, leuchteten draußen bereits die Blinklichter der Polizei. Ein Leichenwagen war vorgefahren und nur der Umstand, dass das gesamte Gelände umzäunt und zudem nicht-öffentlich war, hielt die Journalisten einstweilen draußen.
Heute würde es keine Therapiesitzungen geben, keine Besuche von außen und sicherlich auch sonst keine geregelten Abläufe in der Routine der Anstalt.
Und nun saß Eleanor in einem der Verwaltungsbüros des Hauses mehreren Polizeibeamten gegenüber und gab die Geschichte ihres Fundes zu Protokoll. Nun, streng genommen nicht die ganze Geschichte. Seltsamerweise hatte nämlich Schwester Veronica mehr als unkonventionell beim Anblick des Skelettes reagiert.
„Ich weiß nicht, woher du das gewusst hast“, hatte sie gesagt, nachdem sie sich wieder ein wenig gefangen und beruhigt hatte. „Aber ich denke, es wird das Beste für dich sein, wenn wir der Polizei gegenüber behaupten, du wärst gegen die Vertäfelung gestolpert und sie hätte sich daraufhin geöffnet.“
Die beiden hatten sich einen Augenblick lang angesehen. Dann hatte Eleanor langsam genickt. Das Ausmaß ihrer Entdeckung begann ihr erst jetzt klarzuwerden.
„Ich habe von dieser Stelle geträumt, glaube ich“, sagte sie lahm, ohne daran zu denken, dass sie gerade noch Schwester Veronica gegenüber behauptet hatte, in dieser Nacht gar nicht geschlafen zu haben.
Es war schwer zu beurteilen, ob Schwester Veronica diesen Widerspruch bemerkt hatte, oder aber generellen Zweifel an dieser Darstellung hatte. Zum indest sah sie Eleanor ungläubig an und hob die schmalen Augenbrauen. In jedem Fall würde es besser sein, ihren Vorschlag für den Umgang mit der Polizei zu befolgen.
Das westliche Treppenhaus war an diesem Tag komplett gesperrt, was für den üblichen Betrieb des Sanatoriums eine Reihe von Unannehmlichkeiten mit sich brachte. Gerichtsmediziner untersuchten die Leiche ein erstes Mal vor Ort, bevor sie in die Pathologie abtransportiert werden konnte. Allerdings stellte sich relativ schnell heraus, dass hier kein aktuelles Verbrechen vorlag, trug das Skelett doch eindeutig viktorianische Kleidung. Eleanor selbst hatte dies bereits bemerkt, als sie in die kleine Kammer geblickt hatte, während Schwester Veronica noch neben ihr stand.
Während ihrer Protokollaufnahme betrat denn auch einer der Gerichtsmediziner das kleine Büro und sprach den Kommissar in ihrem Beisein an: „Wir können vorerst Entwarnung geben“, sagte er. „Es handelt sich um die Leiche eines Mädchens von etwa fünfzehn Jahren mit einer Liegezeit von ungefähr hundertfünfzig Jahren. Aufgrund der Fundsituation scheint zwar eindeutig, dass es sich um ein Gewaltverbrechen handelt, aber es ist verjährt und der Täter ist auch nicht mehr zu belangen.“
Der Kommissar nickte bedächtig. „Also eher ein Fall für die Historiker“, sagte er. Dann wandte er sich wieder der Protokollaufnahme zu, um den Fall abschließen zu können.
Auch Schwester Veronica wurde an diesem Tag verhört, doch sie erzählte im Wesentlichen die gleiche Geschichte wie Eleanor: Die beiden hatten sich im Treppenhaus zufällig getroffen und Eleanor war versehentlich gegen die Vertäfelung gestolpert und hatte dadurch den Mechanismus der Geheimtür ausgelöst. Niemand stellte diese Geschichte in Frage, niemand zweifelte sie an.
Erst gegen Mittag entließ die Polizei Eleanor und bereits kurz darauf lief sie in einem der Gänge des Haupthauses Raphael wie zufällig über den Weg.
„Du scheinst eine interessante Entdeckung gemacht zu haben “, begrüßte er sie mit einem Augenzwinkern. „Die Münder und Köpfe der Menschen im Sanatorium sind voll von Gerüchten über den Fund im westlichen Treppenhaus.“
Eleanor zwang sich zu einem unsicheren Lächeln. „Ich will lieber nicht wissen, was du alles gehört hast “, sagte sie.
„Ich denke, die Gedanken des Kommissars dürften wohl die verlässlichsten sein. Ich bin im Bilde. Ich weiß nur nicht, woher du von der Toten gewusst hast. An die Mär von der stolpernden Eleanor glaube ich nämlich nicht.“
„Sie hat es mir heute Nacht erzählt. Ich hatte Besuch von ihrem Geist und…“
„Du hast ihren Geist gesehen?“, unterbrach Raphael sie erregt. „Ohne das du von dem
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