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Hoellenfeuer

Hoellenfeuer

Titel: Hoellenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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Gebäude ließ kaum erkennen, dass das Kloster schon seit vielen Jahren unbewohnt war. Als sie Raphael jedoch auf diese Dinge aufmerksam machte, reagierte er ausweichend. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er sich mit diesen Dingen nicht auseinandersetzen wollte.
    Am achten Tag ihres Aufenthaltes im Bergkloster schlenderte Eleanor gegen Mittag über den Hof des Klosters. Raphael war vor einer Viertelstunde losgeflogen, um mehr Proviant zu besorgen. Kurz darauf war die Sonne allmählich hinter den Wolken hervorgekommen und Eleanor hatte von der Brüstung des Hofes aus eine ganze Weile Naral und Uriel zugesehen, wie sie einige Kilometer entfernt um den Gipfel eines schroffen Sechstausenders herumflogen. Sie beneidete die beiden um diese Fähigkeiten. Wie einfach musste ihnen alles erscheinen, da sie doch jederzeit gleich Vögeln die Welt unter sich lassen konnten – zumindest für eine kleine Weile.
    Nun fröstelte es sie und sie beschloss, wieder in den Schutz der Kl ostergebäude zurückzukehren. So betrat sie die zentrale Versammlungshalle und ging auf jenen Teil des Komplexes zu, in dem sie die Mönchszellen wusste, von denen Raphael eine für sie wohnlich hergerichtet hatte. Sie ging gerade einen engen Korridor entlang, als ein merkwürdiges Gefühl sie überkam. Eine Gänsehaut bildete sich auf ihren Oberarmen und ein kalter Schauer rann ihren Rücken herab. Ihr Magen zog sich unwillkürlich zusammen und sie begann, schneller zu atmen. Es konnte keinen Zweifel geben – sie hatte Angst. Da es keinen Grund für diese Angst zu geben schien, konnte dies nur eines bedeuten: Eleanor war nicht allein. Es musste ein Geist in diesem Korridor sein.
    Eleanor sah sich u m, doch es war zu hell in dem kleinen Korridor, als dass sie die verräterische Aura des Geistes hätte sehen können. Vorsichtig machte sie einen Schritt nach vorn und das beklemmende Angstgefühl nahm unmittelbar zu. Der Geist musste also vor ihr sein. Hatte sich dort nicht etwas in der Luft bewegt? Ein kurzes Wabern vielleicht. Sie hätte es nicht sicher sagen können.
    „Ich kann dich fühlen. Ich weiß, dass du da bist “, flüsterte Eleanor und blickte starr in den Korridor vor sich. Und dann bewegte sie sich einer Eingebung folgend langsam rückwärts und bedeutete ihrem unsichtbaren Gast, ihr zu folgen. Schritt für Schritt bewegte sie sich zurück und winkte den Geist hinter sich her. Sie konnte ihn nicht sehen, doch das Angstgefühl, durch welches sie auf ihn aufmerksam geworden war, nahm nicht ab. Es schien tatsächlich, als bewegte der Geist sich hinter ihr her.
    Nun erreichte Eleanor wieder die große Versammlungshalle. Hier war es relativ dunkel und sie hoffte, jetzt mehr von dem stillen Geist erkennen können. Und wirklich, als sie aus dem Licht des Korridors traten, erkannte sie die Konturen eines Menschen vor sich. Er war klein, wohl nur ungefähr so groß wie sie selbst und seine Konturen zeigten eine Glatze und ein aus vielen Lagen Stoff bestehendes Gewand. Kein Zweifel, es schien sich um den Geist eines buddhistischen Mönches zu handeln.
    Eleanor blieb stehen. Sie hatte die Angst nun gut im Griff und versuchte, mehr in der Silhouette zu erkennen.
    „Wer bist du?“, fragte sie schließlich.
    Der helle Schatten vor ihr stutzte. Dann erklang eine leise Stimme wie aus weiter Ferne, die Eleanor eine kurze Frage zu stellen schien. Doch sie kannte die Sprache nicht. Sie verstand kein es der Wörter und konnte nur ratlos die Schultern zucken.
    „Ich verstehe dich nicht “, antwortete sie. „Sprichst du meine Sprache?“
    Wieder war es einen Augenblick still, dann sprudelte die Stimme in schneller Folge fremde Wörter hervor. Sie schien erregt zu sein und der Schatten gestikulierte wild herum.
    Eleanor wich erschreckt zurück und schlug sich die Hand vor den Mund. Hatte sie den Geist verärgert? Wenn sie ihn doch nur verstehen könnte. Oder wenn wenigstens Raphael hier wäre.
    Plötzlich verstummte die ferne Stimme. Auch der helle Schatten beruhigte sich und verharrte einen Moment regungslos. Dann sagte die Stimme nur ein Wort: „Komm!“
    Langsam bewegte der Schatten des Geistes sich nach links, während Eleanor ihm nachsah.
    „Du kommen “, bat die ferne Stimme noch einmal und nun setzte Eleanor sich in Bewegung.
    Es war schwer, den Schatten im Blickfeld zu behalten, während er sich durch den Saal bewegte. Immer wieder verlor Eleanor ihn aus den Augen, so dass sie stehenbleiben und erneut nach dem sich bewegenden Schatten suchen

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