Höllenflut
steckte einen
Briefumschlag in seine Brusttasche. Dann winkte er Pitt und
Giordino zum Hubschrauber. Sie schnallten sich gerade an, als
der Pilot abhob und in etwa fünf Meter Höhe unter einem
Gewirr von Hochspannungsleitungen hindurchflog, als wäre das
für ihn etwas Alltägliches. Dann ging er auf Südkurs, steuerte
hinaus auf den Hafen und flog knapp dreißig Meter über den
Schornstein eines Öltankers hinweg.
Sehnsüchtig blickte Pitt zu der einstigen Kronkolonie zurück,
die allmählich in der Ferne verschwand. Er hätte ein
Monatsgehalt dafür gegeben, wenn er durch die gewundenen
Straßen spazieren und die zahllosen Läden hätte aufsuchen
können, in denen es buchstäblich alles zu kaufen gab, vom Tee
bis zu kunstvoll geschnitzten Möbeln. Oder wenn er mit einer
schönen Frau bei einer Flasche Veuve Clicquot-Ponsardin brut
und einem exotischen chinesischen Menü in einer Suite des
Peninsula-Hotels sitzen und auf die Lichter im Hafen blicken
könnte...
Er wurde unsanft aus seinen Tagträumen gerissen, als
Giordino mit einemmal ausrief: »Herrgott, was würde ich jetzt
für einen Taco und ein Bier geben.«
Die Sonne war bereits untergegangen, und der Himmel im
Westen war blaugrau, als der Helikopter die Oregon einholte
und auf einer der Frachtraumluken landete. Cabrillo erwartete
sie in der Kombüse. Er reichte Pitt ein Glas Wein und Giordino
eine Flasche Bier. »Ihr zwei habt einen harten Tag hinter euch«,
sagte er. »Daher bereitet unsere Küchenchefin etwas ganz
Besonderes zu.«
Pitt legte das geborgte Sakko ab und lockerte die Krawatte.
»Nicht nur hart, sondern auch denkbar unergiebig.«
»Habt ihr an Bord der United States irgendwas Interessantes
entdeckt?« fragte Cabrillo.
»Wir haben lediglich herausgefunden, daß das Schiff von
vorne bis hinten restlos ausgeschlachtet wurde«, antwortete Pitt.
»Die Innenräume sind völlig leer, vom Maschinenraum und dem
mit automatischen Navigations- und Steuergeräten
vollgestopften Ruderhaus mal abgesehen.«
»Das Schiff ist bereits ausgelaufen. Offenbar fährt es mit
einer Notbesatzung.«
Pitt schüttelte den Kopf. »Es gibt keine Besatzung. Wenn sie,
wie Sie sagen, den Hafen verlassen hat, dann hat sie ihre Fahrt
ohne eine Menschenseele an Bord angetreten. Das ganze Schiff
läuft nur über Computer und Fernsteuerung.«
»Ich kann nur bestätigen, daß keinerlei Lebensmittel in der
Kombüse waren«, warf Giordino ein. »Kein Herd, kein
Kühlschrank, nicht mal Messer und Gabeln. Wer mit diesem
Schiff auf große Fahrt geht, muß elendiglich verhungern.«
»Ohne eine Besatzung, die sich um die Maschinen kümmert
und die Navigationsanlage überwacht, kann doch kein Schiff in
See stechen«, versetzte Cabrillo.
»Ich habe gehört, daß unsere Marine mit unbemannten
Schiffen experimentiert«, sagte Giordino.
»Ein Schiff ohne Besatzung wäre möglicherweise in der Lage,
den Pazifik zu überqueren. Aber dennoch braucht es einen
Kapitän, der den Lotsen an Bord nimmt und bei den
panamaischen Behörden die Gebühr für die Fahrt durch den
Kanal bezahlt.«
»Könnte aber auch sein, daß der Kapitän und eine
provisorische Besatzung erst kurz vor der Ankunft in Panama an
Bord gehen -« Pitt verstummte plötzlich und starrte Cabrillo an.
»Woher wissen Sie, daß die United States Kurs auf den
Panamakanal nimmt?«
»Das war die letzte Nachricht von meinem hiesigen
Informanten.«
»Gut zu wissen, daß Sie jemanden in Qin Shangs
Organisation sitzen haben, der Sie auf dem laufenden hält«, warf
Giordino bissig ein. »Leider hat er uns nicht erzählt, daß das
Schiff zu einem ferngesteuerten Spielzeug umgebaut worden ist.
Er hätte uns 'ne Menge Umstände ersparen können.«
»Ich habe niemanden in der Organisation sitzen«, erklärte
Cabrillo. »Ich wünschte, es wäre so. Die Auskunft stammt vom
Agenten der Qin Shang Maritime in Hongkong. Um
ankommende und auslaufende Schiffe macht man kein großes
Geheimnis.«
»Was ist der Bestimmungsort der United States'?« fragte Pitt.
»Sungari, Qin Shangs neuer Hafen.«
Pitt musterte eine Zeitlang schweigend sein Weinglas, dann
sagte er langsam: »Und zu welchem Zweck? Warum sollte Qin
Shang ein ausgeschlachtetes vollautomatisches Schiff quer über
den Ozean schicken und einen völlig fehlgeplanten Hafen in
Louisiana anlaufen lassen? Was beabsichtigt er damit?«
Giordino trank sein Bier aus und tunkte einen Tortilla-Chip in
eine Schüssel mit Salsa. »Er könnte das Schiff ja auch
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