Höllenflut
Rostschutzfarbe
gestrichen und sieht genau so aus wie an dem Tag, an dem sie
vom Stapel gelaufen ist. Keine Ahnung, wie Qin Shang die
illegalen Einwanderer in fremden Häfen an Land schafft - auf
dem Unterwasserweg macht er's jedenfalls nicht.«
»Und was bedeutet das für uns?«
Pitt schaute Cabrillo ruhig an. »Wir müssen auf das Schiff.
Können Sie das einrichten?«
»Ich bin doch der Pfiffikus vom Dienst. Ja, ich glaube, ich
kann für euch eine Besichtigungstour durch das Schiff
arrangieren. Aber eins müßt ihr bedenken: Wir haben von jetzt
an allenfalls ein, zwei Stunden Zeit. Dann wird man die Männer,
die wir gekidnappt haben, allmählich vermissen. Wenn der Chef
von Qin Shangs Sicherheitsdienst zwei und zwei
zusammenzählt, wird er sich denken können, daß die Oregon dahintersteckt. Höchstwahrscheinlich fragt er sich bereits, wo
seine zehn Taucher geblieben sind. Und sobald er die
chinesische Marine alarmiert, nimmt die garantiert die
Verfolgung auf. Mit etwas Vorsprung kann die Oregon die
meisten Schiffe der chinesischen Flotte abhängen. Aber wenn
sie Flugzeuge hinter uns herschicken, ehe wir die chinesischen
Hoheitsgewässer verlassen haben, sind wir erledigt.«
»Sie sind gut bewaffnet«, sagte Giordino.
Cabrillo kniff den Mund zusammen. »Aber nicht
unverwundbar, wenn wir von Kriegsschiffen und Flugzeugen
mit schwerem Geschütz und Raketen angegriffen werden. Je
früher wir aus Hongkong verschwinden, desto besser.«
»Dann haben Sie also vor, den Anker zu lichten und in See zu
stechen«, sagte Pitt.
»Das habe ich nicht gesagt.« Cabrillo blickte auf Seng, der
froh war, daß er wieder trockene Kleidung anhatte. »Was
meinen Sie, Eddie? Haben Sie Lust, noch mal die Uniform von
Qin Shangs Käpt'n anzulegen und am Kai den großen Max zu
markieren?«
Seng grinste. »Ich wollte schon immer mal umsonst ein
großes Kreuzfahrtschiff besichtigen.«
»Damit wäre alles klar«, sagte Cabrillo zu Pitt. »Zieht los.
Schaut euch alles an und seht zu, daß ihr schleunigst
zurückkommt, sonst wird es uns noch leid tun.«
18
»Meinen Sie nicht, daß wir ein bißchen übertreiben?« sagte
Pitt knapp eine Stunde später.
Seng, der am Lenkrad des rechts gesteuerten Wagens saß,
zuckte die Achseln. »Wer verdächtigt schon jemanden, der in
einem Rolls-Royce vorfährt?« fragte er unschuldig.
»Jeder, der nicht mit Blind- und Blödheit geschlagen ist«,
erwiderte Giordino.
Pitt, der als Oldtimer-Sammler etwas von alten Autos
verstand, bewunderte unterdessen die hervorragende
Verarbeitung des Rolls. »Vorstandsvorsitzender Cabrillo ist
wirklich ein erstaunlicher Mann.«
»Der größte Schnorrer, den es weit und breit gibt«, sagte
Seng, als er neben dem Wachhäuschen am Haupttor zur Werft
der Qin Shang Maritime Limited hielt. »Er hat einen Deal mit
dem Chefportier des besten Fünf-Sterne-Hotels in Hongkong
gemacht. Normalerweise werden damit prominente Gäste am
Flughafen abgeholt und wieder zurückgebracht.«
Die Spätnachmittagssonne stand tief am Horizont, als zwei
Wachmänner aus dem Häuschen kamen und den 1955er RollsRoyce Silver Dawn mit der typischen Hooper-Karosserie
musterten. Die elegante Linienführung war ein Musterbeispiel
für den schnittigen Limousinenbaustil, der bei den britischen
Karosserieschneidern der fünfziger Jahre so beliebt war. Die
vorderen Kotflügel des viertürigen Wagens waren anmutig nach
unten geschwungen und gingen in die tief herabgezogenen
hinteren Kotflügel über. Entsprechend elegant war das schräg
abfallende Heck mit dem integrierten Kofferraum, die
sogenannte »französische Linie«, die Anfang der Achtziger von
Cadillac imitiert worden war.
Seng zeigte den Ausweis vor, den er dem Kapitän des
Patrouillenbootes abgenommen hatte. Der Mann auf dem Foto
hätte sein Cousin sein können, aber trotzdem achtete er darauf,
daß die Posten nicht zu genau hinguckten. »Han Wan-Tsu, Chef
des Sicherheitsdienstes am Kai«, erklärte er auf chinesisch.
Einer der beiden Wachmänner beugte sich durch das hintere
Fenster und betrachtete die beiden Fahrgäste im Fond, die
konservative Nadelstreifenanzüge trugen. »Wer sind Ihre
Begleiter?«
»Das sind Karl Mahler und Erich Grosse, zwei bekannte
Schiffsbauingenieure von Voss und Heibert, einer berühmten
deutschen Werft. Sie möchten einen Blick auf die Turbinen des
großen Ozeandampfers werfen und den Maschinisten mit Rat
und Tat zur Seite stehen.«
»Auf meiner Liste stehen sie nicht«, sagte der
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