Höllenflut
und tat so, als
sei sie mit dem Speiseplan für den kommenden Tag beschäftigt.
Aus den Augenwinkeln sah sie zu, wie der zweite Koch das
übriggebliebene Essen abtrug, während der Gehilfe die Tische
abwischte und dann das schmutzige Geschirr, die Töpfe und die
Woks in Angriff nahm.
Wie beiläufig schlenderte sie zur Offiziersmesse und dann
hinaus in den Gang, wo sie sich kurz umdrehte und zufrieden
feststellte, daß ihre Gehilfen keine Notiz von ihr nahmen. Sie
stieg einen Aufgang hinauf und trat unterhalb der Brücke an
Deck. Die großen Kräne am Kai waren bereits in Betrieb und
löschten die auf den Frachtdecks gestapelten Container.
Sie warf einen Blick über die Bordwand und sah, wie ein
Schleppzug längsseits neben dem Schiff anlegte. Die Besatzung
bestand offenbar aus lauter Chinesen. Zwei Mann kamen an
Bord und fingen an, prallvolle Müllsäcke in den Frachtraum des
Lastkahns hinabzuwerfen. All das geschah unter den
aufmerksamen Blicken eines Drogenfahnders, der jeden Sack
genauestens überprüfte, ehe er nach unten flog.
Rundum wirkte alles völlig harmlos. Julia konnte nichts
Verdächtiges entdecken. Das Schiff war sowohl von der
Küstenwache als auch vom Zoll und der Einwanderungsbehörde
durchsucht worden, aber man hatte weder Illegale noch Drogen
noch andere Kontrabande gefunden. Die Container enthielten
Industrie- und Handelsgüter, unter anderem Textilien, Gummiund Plastikschuhe, Kinderspielzeug sowie Radio- und
Fernsehgeräte, alles von billigen Arbeitskräften in der
Volksrepublik China hergestellt.
Sie kehrte in die Küche zurück und füllte einen Eimer mit
Sesamgebäck (Frühlingszwiebeln und Sesamkörner in
Blätterteig), das Kapitän Li Hungtschang so schätzte. Dann
wanderte sie durch den Bauch des Schiffes und sah sich in den
unter der Wasserlinie liegenden Stau- und Frachträumen um.
Die Besatzung war größtenteils an Deck beschäftigt, wo sie
beim Löschen der Container half. Die paar Männer, die sich
noch unter Deck aufhielten, freuten sich sichtlich, als sie ihnen
im Vorübergehen ein Gebäckstück aus ihrem Eimer anbot. Den
Maschinenraum sparte sie aus, denn dort waren mit Sicherheit
keine Immigranten versteckt. Kein Chefingenieur, der etwas auf
sich hielt, ließ einen Passagier auch nur in die Nähe seiner
kostbaren Maschinen.
Nur einmal packte sie kurz die Panik, als sie sich in dem
riesigen Raum verlief, in dem sich die Treibstofftanks des
Schiffes befanden, und plötzlich von einem Besatzungsmitglied
angesprochen wurde, das unverhofft hinter ihr auftauchte und
wissen wollte, was sie hier suchte. Julia lächelte, bot ihm ein
Stück Sesamgebäck an und erklärte, daß der Kapitän Geburtstag
habe und wolle, daß alle Mann an Bord mit ihm feierten. Der
Matrose, der keinen Grund hatte, der Schiffsköchin zu
mißtrauen, nahm sich eine Handvoll Gebäck und bedankte sich
selig lachend.
Nachdem sie sich sämtliche Räume, in denen sich eine
größere Anzahl illegaler Einwanderer verstecken ließe,
vorgenommen hatte, ohne etwas Verdächtiges zu entdecken,
begab sie sich wieder an Deck. Sie beugte sich über die
Steuerbordreling, überzeugte sich, daß niemand in ihrer Nähe
war, steckte dann den kleinen Kopfhörer ins Ohr und sprach in
das zwischen ihren Brüsten versteckte Funkgerät.
»So leid es mir tut, aber das Schiff ist offenbar sauber. Ich
habe alle Decks abgesucht, ohne eine Spur von illegalen
Einwanderern zu finden.«
Captain Lewis meldete sich unverzüglich. »Wie steht's um
Ihre Sicherheit?«
»Gut. Bislang hat niemand etwas bemerkt.«
»Möchten Sie das Schiff verlassen?«
»Noch nicht. Ich würde ganz gern noch eine Weile
hierbleiben.«
»Halten Sie mich bitte auf dem laufenden«, sagte Lewis.
»Und seien Sie vorsichtig.«
Lewis' letzte Worte waren kaum zu verstehen, denn plötzlich
erdröhnte ringsum die Luft, als der Helikopter der Weehawken
mit knatternden Rotorblättern und heulenden Turbinen über den
Kai hinwegflog. Julia hätte ihm am liebsten zugewinkt. Doch sie
beherrschte sich, beugte sich weiter über die Reling, als sei
nichts geschehen, und warf nur einen beiläufigen Blick auf den
Hubschrauber. Aber ihr war mit einemmal erheblich wohler
zumute. Es tat gut zu wissen, daß da oben zwei Männer waren,
die über sie wachten.
Sie war einerseits erleichtert, daß ihr Auftrag vorüber war,
ärgerte sich aber auch, weil sie keinerlei Hinweise auf
kriminelle Machenschaften entdeckt hatte. Anscheinend hatte
Qin Shang wieder
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