Höllenflut
Decksplanen eines
längst ausgedienten Fischerbootes und hätte mal wieder
gründlich kalfatert werden müssen.
Die Gäste, eine bunte Mischung aus Fischern, einheimischen
Werft- und Bauarbeitern sowie Männern, die draußen vor der
Küste Öl förderten, waren ein derber Haufen. Etliche
unterhielten sich auf französisch - immerhin war hier das Land
der Cajuns. Zwei große Hunde lagen unter einem freien Tisch
und dösten friedlich vor sich hin. Mindestens dreißig Männer
drängten sich um die Bar, doch weit und breit war keine Frau zu
sehen, nicht einmal eine Bedienung. Sämtliche Getränke wurden
vom Barkeeper serviert. Biergläser gab es nicht. Man bekam
entweder eine Flasche oder eine Dose. Nur der Schnaps wurde
in gesprungenen, ausgezackten Gläsern aufgetischt. Ein Kellner,
der aussah, als ob er jeden Donnerstagabend in der hiesigen
Turnhalle zum Catchen antrat, brachte das Essen.
»Was meinst du?« fragte Pitt Giordino.
»Jetzt weiß ich, wo alte Kakerlaken zum Sterben hingehen.«
»Denk dran, daß du immer schön lächeln und ›Sir‹ sagen
mußt, wenn dich einer dieser Schränke nach der Zeit fragt.«
»Hier möchte ich auf keinen Fall eine Schlägerei vom Zaun
brechen«, erwiderte Giordino.
»Gut, daß wir nicht wie Touristen angezogen sind, die frisch
von einem Kreuzfahrtschiff kommen«, sagte Pitt, während er die
schmutzigen und geflickten Arbeitsklamotten betrachtete, die
die Besatzung der Marine Denizen für sie zusammengesucht
hatte. »Obwohl ich bezweifle, daß es was nützt. Die können
riechen, daß wir nicht dazugehören.«
»Ich hab' doch gleich gewußt, daß es ein Fehler war, letzten
Monat zu baden«, versetzte Giordino.
Pitt verbeugte sich und deutete auf einen freien Tisch.
»Wollen wir speisen?«
»Na klar«, erwiderte Giordino, der sich ebenfalls verbeugte,
eine Stuhl herauszog und sich setzte.
Als sie nach zwanzig Minuten immer noch niemand bedient
hatte, gähnte Giordino und sagte: »Scheint so, als ob sich der
Kellner große Mühe gäbe, unseren Tisch nicht zur Kenntnis zu
nehmen.«
»Er muß dich gehört haben«, sagte Pitt grinsend. »Da kommt
er.«
Der Kellner trug lediglich abgeschnittene Jeans und ein
bedrucktes T-Shirt.
»Kann ich euch was aus der Küche bringen?« fragte er mit
überraschend hoher Stimme.
»Wie wär's mit einem Dutzend Austern und 'nem DixieBier?« sagte Giordino.
»Kommt gleich«, antwortete der Kellner. »Und du?«
»Einen Teller von eurem berühmten Gumbo.«
Der Kellner grunzte. »Hab' nicht gewußt, dass es berühmt is,
aber gut schmecken tut's. Was willst'n trinken?«
»Gibt's an der Bar auch einen Tequila?«
»Klar, hier kommen haufenweise Fischer aus Mittelamerika
her.«
»Tequila mit Eis und Limonensaft.«
»Bin gleich wieder da«, sagte der Kellner, drehte sich um und
ging zur Küche.
»Ich hoffe, der hält sich nicht für Arnold Schwarzenegger und
fährt mit dem Auto durch die Wand«, grummelte Giordino.
»Nur die Ruhe«, sagte Pitt. »Genieße das Lokalkolorit, das
rustikale Ambiente und die verqualmte Umgebung.«
»Die Luft hier drin ist so dick, daß es auf eine mehr auch
nicht mehr ankommt«, sagte Giordino und zündete sich eine
seiner kostbaren Zigarren an.
Pitt blickte sich in der Kneipe um und hielt Ausschau nach
einem passenden Gesprächspartner, von dem sie vielleicht etwas
in Erfahrung bringen konnten. Die Ölsucher, die sich am
anderen Ende der Bar zusammengerottet hatten und Pool
spielten, konnte er getrost ausklammern. Die Werftarbeiter
kämen möglicherweise in Frage, aber sie sahen nicht so aus, als
ob sie für Fremde viel übrig hätten. Unauffällig musterte er die
Fischer. Etliche saßen an zusammengeschobenen Tischen und
spielten Poker. Ein älterer Mann, den Pitt auf etwa Mitte
Sechzig schätzte, saß rittlings auf einem Stuhl daneben, stieg
aber nicht ein. Spielt offenbar den Einzelgänger, dachte Pitt.
Doch in seinen freundlichen blaugrünen Augen saß der Schalk.
Er hatte graue Haare und einen ebenso grauen Schnurr- und
Kinnbart. Während die anderen ihr Geld auf den Tisch warfen,
hockte er nur da und beobachtete sie wie ein Psychologe, der
das Verhalten von Labormäusen untersucht.
Der Kellner brachte ihre Getränke - ohne Tablett, in der einen
Hand ein Glas, in der anderen die Bierflasche. Pitt blickte auf.
»Was für einen Tequila schenkt der Barkeeper aus?« fragte er.
»Ich glaub', er heißt Pancho Villa.«
»Soweit ich weiß, wird Pancho Villa in Plastikflaschen
verkauft.«
Der Kellner
Weitere Kostenlose Bücher