Höllenflut
Überhaupt ein Wunder, daß mir nicht das Trommelfell geplatzt
ist. Außerdem tut mir von Kopf bis Fuß alles weh. Na ja, und
danach war ich ziemlich weg vom Fenster. Aber als ich atmen
wollte und einen Schwall Sumpfwasser geschluckt habe, weil
plötzlich mein Lungenautomat nicht mehr da war, bin ich zu mir
gekommen und schleunigst aufgetaucht. Dann habe ich mich
eine Weile treiben lassen, bis ich wieder halbwegs bei Sinnen
war. Und dann habe ich deine Luftblasen gesehen.«
»Diesmal war ich mir sicher, daß es dich erwischt hat«, sagte
Giordino.
»Ich auch«, erwiderte Pitt. Vorsichtig betastete er seine Nase
und die aufgeplatzte Lippe. »Irgendwas hat mich anscheinend
am Gesicht getroffen, als ich am Grund des Kanals aufgeprallt
bin -« Er brach ab und zog eine Grimasse. »Gebrochen. Meine
Nase ist gebrochen. Zum allerersten Mal.«
Giordino deutete mit dem Kopf zum Ufer, wo inzwischen
auch das Plantagenhaus in hellen Flammen stand. »Hast du
schon mal nachgeforscht, von wem du diese unheimliche
Zerstörungswut geerbt hast?«
»Soweit ich weiß, war unter meinen Vorfahren kein
Pyromane.«
Drei Wachmänner hatten das Inferno überlebt. Einer kroch
mit kokelnder Uniform vom Haus weg, ein zweiter, dem das
Trommelfell geplatzt war, saß benommen am Ufer, hatte die
Hände über die Ohren geschlagen und wiegte sich vor und
zurück. Der dritte, dem das Blut aus einer Schnittwunde an der
Wange quoll, zum Hals hinunterlief und das Hemd rot färbte,
stand fassungslos da und starrte auf die Überreste des
Luftkissenfahrzeugs.
Pitt schwamm zum Ufer, stand auf und ging an Land. Mit
weit aufgerissenen Augen glotzte der Wachmann die sonderbare
Erscheinung in dem schwarzen Anzug an, die aussah wie ein
Sumpfungeheuer. Er wollte unwillkürlich nach seiner Waffe
greifen, stellte aber fest, daß sie durch die Explosion
weggerissen worden war. Er drehte sich um und versuchte
wegzulaufen, torkelte ein paar Schritte weiter und fiel dann hin.
Die unheimliche Gestalt, der das Blut aus der Nase tropfte,
starrte auf ihn herab.
»Verstehst du Englisch, mein Freund?«
»Ja«, krächzte der Wachmann und nickte. »Ich gelernt
amerikanische Vokabel.«
»Gut. Dann bestell deinem Boß, dem großen Qin Shang, daß
Dirk Pitt wissen möchte, ob er sich immer noch bückt und
Bananen aufhebt. Hast du das kapiert?«
Der Wachmann verhaspelte sich mehrere Male, als er den
Satz wiederholte, aber mit Pitts tatkräftiger Hilfe bekam er ihn
schließlich hin. »Dirk Pitt möchte wissen, ob der ehrenwerte Qin
Shang sich immer noch bückt und Bananen aufhebt.«
»Prima gemacht«, sagte Pitt leutselig. »Du bist der
Klassenprimus.«
Dann spazierte er zum Kanal zurück und watete hinaus zu
Giordino, der im Kahn auf ihn wartete.
35
Julia war heilfroh, als es endlich dunkel wurde. Sie schlich
zum Bug des Schleppers, achtete darauf, daß sie im Schatten
blieb, kletterte dann über die Bordwand des Lastkahns und
landete inmitten der schwarzen Müllsäcke. Das Mondlicht, so
schwach es auch war, paßte ihr ganz und gar nicht, aber
andererseits hatte sie dadurch auch die Besatzung auf dem
Schlepper stets im Auge, und sie konnte die Ufer erkennen und
sich markante Punkte merken. Zudem blickte sie alle paar
Minuten zum Polarstern auf und verfolgte den Kurs des
Schleppzugs.
Hier, am Bayou Teche, sah die Landschaft ganz anders aus als
im Atchafalaya-Tal. Mächtige immergrüne Eichen ragten hinter
dem Schilfrohr am Ufer auf, dazwischen stattliche Zypressen
und wogende Weiden. Ab und zu taten sich Schneisen im
Waldland auf, und man sah Farmen im Mondschein liegen und
Felder, die in voller Frucht standen. Hinter Weidezäunen machte
Julia grasende Rinder aus. Ein Vogel zwitscherte, eine
Feldlerche, und einen Moment lang wünschte sie, sie hätte eine
Familie, ein Zuhause. Sie wußte, daß der Tag nicht mehr fern
war, an dem ihre Vorgesetzten sie aus dem gefährlichen
Außendienst abziehen und an den Schreibtisch verbannen
würden.
Der Schleppzug fuhr durch ein malerisches Fischerdörfchen.
Patterson hieß es, wie Julia später erfahren sollte. An den Piers,
die das Ufer säumten, lagen dicht an dicht Fischerboote. Sie
prägte sich ein, wie die Häuser entlang des Bayou standen, bis
die Ortschaft hinter ihnen in der Ferne verschwand. Der
Schlepperkapitän betätigte das Signalhorn, als eine Zugbrücke
in Sicht kam. Der Brückenwärter tutete zurück und zog die
Brücke so weit hoch, daß sie hindurchfahren konnten.
Ein paar
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