Höllenflut
seine schmierigen Finger drinstecken hat,«
»Ganz schöne Leistung, das Schiff flußaufwärts zu steuern«,
sagte Montaigne. »Das ist so, als ob man eine Stecknadel durch
einen Strohhalm bugsiert, ohne daß sie seitlich anstößt.«
»Schön, daß Sie hier sind, General«, sagte Pitt. »Ich habe
nämlich ein paar Fragen, die nur Sie, der Sie sich auf dem Fluß
bestens auskennen, beantworten können.«
»Ich will's gern versuchen.«
»Ich weiß, daß es verrückt klingt, aber ich könnte mir
vorstellen, daß Qin Shang diesen eigenartigen Standort für
seinen Hafen deshalb gewählt hat, weil er vorhat, einen Teil des
Uferdamms zu zerstören und den Mississippi in den Atchafalaya
umzuleiten. Damit wäre Sungari der wichtigste Hafen am Golf
von Mexikos
Die anderen Anwesenden reagierten zunächst sichtlich
zurückhaltend auf Pitts phantastische Idee - mit Ausnahme von
Generalmajor Montaigne. Er nickte wie ein Professor, der einem
Studenten eine Fangfrage gestellt und die richtige Antwort
erhalten hat. »Es mag Sie vielleicht überraschen, Mr. Pitt, aber
mir schwant schon seit einem halben Jahr so was ähnliches.«
»Den Mississippi umleiten?« wiederholte Captain Lewis
bedächtig. »Viele Menschen, darunter auch ich, würden sagen,
das ist undenkbar.«
»Undenkbar vielleicht, aber nicht unmöglich, nicht bei
jemandem, der so durchtrieben und diabolisch ist wie Qin
Shang«, sagte Giordino ungerührt.
Sandecker schaute nachdenklich in die Ferne. »Sie sind da auf
eine Erklärung gestoßen, auf die man von Anfang an hätte
kommen können, schon als mit dem Bau von Sungari begonnen
wurde.«
Aller Augen wandten sich Montaigne zu, als Harper ihm die
entscheidende Frage stellte. »Wäre das möglich, General?«
»Das Pioniercorps liegt seit über hundertfünfzig Jahren in
stetem Kampf mit der Natur, um ebendiese Katastrophe zu
verhindern«, antwortete Montaigne. »Wir leben ständig mit der
Angst vor einer großen Flut, größer als alle, die seit
Menschengedenken aufgetreten sind. Wenn das passiert, wird
der Atchafalaya zum Hauptarm des Mississippi. Und der
Abschnitt des ›Ol' Man River‹ , der derzeit von Nordlouisiana
über New Orleans zum Golf führt, wird zum Altwasser,
sumpfig, verlandet und dem Einfluß der Gezeiten unterworfen.
In vorgeschichtlicher Zeit ist es schon mal so gewesen, und es
wird wieder so kommen. Wenn der Mississippi nach Westen
fließen will, kann ihn keiner aufhalten. Es ist nur eine Frage der
Zeit.«
»Wollen Sie damit sagen, daß der Mississippi seinen Lauf
regelmäßig ändert?« fragte Stewart.
Montaigne stützte das Kinn auf den Griff seines Stockes.
»Den Tag und die Stunden können wir nicht voraussagen, aber
er hat sich im Verlauf der letzten sechstausend Jahre mehrmals
ein neues Bett gegraben. Ohne menschliches Eingreifen, vor
allem durch das Pioniercorps der US-Army, würde der
Mississippi vermutlich schon jetzt durch das Atchafalaya-Tal
und über die versunkenen Reste von Morgan City hinweg zum
Golf strömen.«
»Angenommen, Qin Shang zerstört den Uferdamm und
schlägt eine breite Bresche, durch die der Mississippi in den
Kanal abfließen kann, den er droben am Atchafalaya hat stechen
lassen«, sagte Pitt. »Was käme dabei heraus?«
»Eine einzige Katastrophe«, antwortet Montaigne. »Durch das
Schmelzwasser hat der Fluß derzeit eine
Strömungsgeschwindigkeit von gut zehn Stundenkilometern,
und das heißt, daß sich eine gewaltige Flutwelle, vielleicht
sechs, vielleicht auch zehn Meter hoch, in den Kanal ergießen
und das ganze Tal überschwemmen würde. Zweihunderttausend
Menschen wären in Gefahr, Millionen Hektar Acker- und
Weideland würden vernichtet. Der Großteil des Marschlandes
würde überflutet werden. Ganze Städte und Ortschaften würden
weggeschwemmt werden. Hunderttausende von Tieren - Rinder,
Pferde, aber auch Rehe, Kaninchen und anderes Wild - würden
jämmerlich ersaufen. Sämtliche Austernbänke, Krabbenzuchten
und Catfish-Farmen würden vernichtet werden, weil sich durch
die plötzliche Süßwasserzufuhr der Salzgehalt im Fluß
verringert. Die Mehrzahl der Alligatoren und anderer
Wasserbewohner würde verschwinden.«
»Das sind ja ziemlich düstere Aussichten, General«, sagte
Sandecker.
»Das ist aber noch lange nicht alles«, sagte Montaigne. »Die
Schäden für die Wirtschaft lassen sich gar nicht abschätzen.
Durch die Flutwelle würden der Highway und die
Eisenbahnbrücken einstürzen, die das Tal überspannen, so
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