Höllenflut
ging eine lange Reihe schwerer
Scheinwerfer an, die den Fluß in gleißendes Licht tauchten, und
auf der gegenüberliegenden Dammseite fuhr ein Zug Panzer auf,
die ihre Kanonen auf das vorüberziehende Schiff richteten.
Hungtschang war überrascht, als er keine Raketenwerfer sah.
Und da er von militärischen Waffensystemen wenig verstand,
erkannte er auch die alten M1A1-Panzer der Nationalgarde mit
ihren 105-Millimeter-Kanonen nicht. Aber er wußte sehr wohl,
welche Schäden sie auf einem nicht gepanzerten Passagierschiff
anrichten konnten.
Die beiden Hubschrauber, zwei Sikorsky H-76 Eagle,
scherten aus und flogen links und rechts in Höhe des Oberdecks
vorbei. Dann drehte der eine bei und schwebte über dem Heck,
während der andere das Schiff umkreiste, auf Höhe der Brücke
ging und einen Suchscheinwerfer in das Ruderhaus richtete.
Eine blecherne Stimme übertönte das Dröhnen der
Rotorblätter. »Halten Sie auf der Stelle die Maschinen an!«
Hungtschang ging nicht auf den Befehl ein. Er haderte mit
dem Schicksal, das sich mit einemmal gegen ihn gewandt hatte.
Irgendwie mußten die Amerikaner gewarnt worden sein. Sie
wußten Bescheid! Verflucht seien sie, die fremden Teufel! Sie
wußten, daß Qin Shang den Damm zerstören und mit Hilfe des
Ozeandampfers den Fluß umleiten wollte.
»Stoppen Sie auf der Stelle!« ertönte wieder die LautsprecherStimme. »Wir kommen an Bord und übernehmen das Schiff!«
Hungtschang zögerte, überlegte fieberhaft, ob er sich auf ein
Gefecht einlassen sollte. Er zählte sechs Panzer droben auf der
Deichkrone. Aber mit Panzerkanonen allein ließ sich ein Schiff
dieser Größe nicht versenken, und Raketen mit hoher
Sprengkraft sah er nirgendwo. Er warf einen Blick auf seine
Uhr. Nur noch fünfzehn Minuten bis zum Bayou Goula und zum
Mystic-Kanal. Einen Moment lang überlegte er, ob er die
Maschinen stoppen und sich dem amerikanischen Militär
ergeben sollte. Doch sein Ehrgefühl siegte. Wenn er jetzt
aufgab, verlor er das Gesicht. Er durfte keine Schmach über
seine Familie bringen. Er entschloß sich zur Weiterfahrt.
Wie zur Bestätigung feuerte einer der chinesischen
Einzelkämpfer eine russische SA7-Rakete mit Hitzesucher auf
den über dem Heck schwebenden Helikopter ab, Aus
zweihundert Metern Entfernung hätte er ihn selbst ohne
Zielsuchgerät nicht verfehlen können. Die Rakete traf den
Hubschrauber unmittelbar hinter dem Rumpf und riß den
Heckausleger ab. Der Helikopter, der sich ohne Seitenrotor nicht
mehr steuern ließ, drehte sich um die eigene Achse und stürzte
in den Fluß. Die beiden Piloten und die zehn Nationalgardisten,
die darin saßen, konnten sich mit knapper Not retten, bevor er
unterging.
Die Männer in dem Hubschrauber, der über der Brücke des
Luxusliners schwebte, hatten weniger Glück. Die nächste
Rakete zerriß ihn in tausend glühende Trümmer. Sie regneten
auf den dunklen Fluß hinab, wo sie von den Schiffsschrauben
untergepflügt wurden.
Im Donner und Getöse nahm niemand das tiefe Summen
wahr, das sich flußabwärts näherte. Und weder Hungtschang
noch seine chinesischen Elitekämpfer bemerkten die beiden
schwarzen Gleitschirme, die am nächtlichen Sternenhimmel
vorüberhuschten. Aller Augen waren auf die Panzerkanonen
gerichtet, jeder machte sich auf das verheerende Feuer gefaßt,
das jeden Moment über sie hereinbrechen konnte.
Kapitän Hungtschang griff zum Schiffstelefon und meldete
sich im Maschinenraum. »Alle Maschinen volle Kraft voraus«,
sagte er ruhig.
42
Zehn Minuten zuvor hatten Pitt und Giordino auf einem
Schulhof unweit des Flusses Helme aufgesetzt, waren in ein
Tragegeschirr geschlüpft und hatten sich kleine, auf einer Art
Rucksack sitzende Motoren um die Schultern geschnallt.
Danach hatten sie sich knapp zehn Meter breite Schirme mit
über fünfzig Zugleinen umgehängt und die kleinen, nur drei PS
starken Motoren angeworfen, die aussahen, als stammten sie aus
einem Rasenmäher oder einer Kettensäge. Der Tarnung halber
waren sie eigens gedämpft worden, so daß man nur ein leises
Tuckern hörte. Sofort kamen die Propeller, die an einen großen
Ventilator mit Gittergehäuse erinnerten, in Schwung. Pitt und
Giordino rannten ein paar Meter, bis sich die zweihundert
Quadratmeter großen Schirme aufblähten, und hoben dann ab.
Neben dem Stahlhelm trugen Giordino und Pitt kugelsichere
Westen. Giordino hatte sich Pitts Aserma Bulldog um die Brust
geschnallt, und Pitt hatte seinen altgedienten
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