Höllenflut
Insassen
zertrümmerte. Er hatte schallend gelacht, als er die Gesichter des
Empfangskomitees, darunter der Gouverneur von Louisiana, der
Bürgermeister von New Orleans und weitere Würdenträger,
gesehen hatte. Wie vom Donner gerührt hatten sie dagestanden,
als die United States einfach weitergefahren war, vorbei am Kai,
an dem sie vermeintlich vor Anker gehen und mit prunkvollen
Räumen, Restaurants, Ladengeschäften und Spieltischen hätte
ausgestattet werden sollen.
Auf den ersten fünfzig Kilometern waren ihnen zahllose
Jachten, Motorboote und Fischkutter nachgefahren. Zudem
wurden sie von einem Kutter der Küstenwache verfolgt, und auf
dem parallel zum Fluß verlaufenden Highway rasten etliche
Streifenwagen neben ihnen her. Hubschrauber der lokalen
Fernsehsender von New Orleans umkreisten das Schiff, damit
die Kamerateams das großartige Schauspiel einfangen konnten.
Wiederholt wurde Hungtschang dazu aufgefordert, die
Maschinen zu stoppen, doch er dachte nicht daran. Dann kam
wieder eine gerade Strecke, auf der das große Schiff eine derart
unglaubliche Geschwindigkeit vorlegte, daß der Kutter der
Küstenwache und der letzte Kabinenkreuzer hoffnungslos
zurückfielen.
Bei Einbruch der Dunkelheit näherte sich Hungtschang der
ersten Brücke. Daß die Fahrrinne von New Orleans nach Baton
Rouge zusehends schmäler wurde - am Anfang war sie
dreihundert, später nur noch hundertfünfzig Meter breit -,
bereitete ihm kaum Kopfzerbrechen. Bei einer Wassertiefe von
rund zwölf Metern war er einigermaßen sicher. Der Rumpf maß
an der breitesten Stelle rund dreißig Meter, verjüngte sich aber
zur Wasserlinie hin. Wenn das Schiff durch den Panamakanal
gekommen war, so überlegte Hungtschang, dann müßte es bei
rund sechzig Metern Abstand zu beiden Ufern auch in den
engen Biegungen noch genügend Spielraum haben. Wirkliche
Sorgen bereiteten ihm hingegen die sechs Brücken, die den Fluß
überspannten, zumal der Wasserstand durch die Frühjahrsflut
um rund vier Meter gestiegen war.
Mit knapper Not fuhr die United States sowohl unter der
Crescent City Connection als auch unter der Huey P. Long
Bridge durch, deren tiefsten Bogen sie mit den Spitzen ihrer
Schornsteine streifte. Bei den nächsten beiden Brücken, der
Luling und der Gramercy Bridge, hatte sie sogar knapp
dreieinhalb Meter Spielraum. Damit blieb nur noch die Sunshine
Bridge bei Donaldsonville, und unter der, so hatte Hungtschang
ausgerechnet, müßten ihr auch rund zwei Meter
Sicherheitsabstand bleiben. Danach gab es, vom Schiffsverkehr
einmal abgesehen, keine Hindernisse mehr, so daß der Dampfer
freie Fahrt bis zum Mystic-Kanal hatte.
Allmählich verflogen auch die letzten Befürchtungen und
Bedenken, die Hungtschang noch gehabt hatte. Es herrschte kein
starker Wind, der das Schiff vom Kurs hätte abbringen können.
Ming Lin lotste es gekonnt und meisterhaft um die kitzeligen
Flußbiegungen. Vor allem aber, und das war das wichtigste,
hatte er das Überraschungsmoment auf seiner Seite. Ehe die
Amerikaner begriffen, was da eigentlich vor sich ging, wäre es
bereits zu spät. Bis dahin wollte Hungtschang das Schiff schon
an der Stelle versenkt haben, an der das Wasser durch den
gesprengten Uferdamm umgeleitet werden sollte, und mitsamt
seiner Besatzung auf dem Rückflug nach Sungari sein, wo die Sung Lien Star zum Auslaufen bereit lag. Je näher die United
States ihrem Ziel kam, desto weniger Sorgen machte er sich.
Plötzlich spürte er, wie eine leichte Erschütterung durch den
Rumpf ging, zuckte zusammen und warf einen kurzen Blick zu
Ming Lin, um festzustellen, ob er vielleicht einen Fehler
begangen oder sich verschätzt hatte. Er entdeckte lediglich ein
paar Schweißtropfen auf der Stirn seines Ersten Offiziers, der
mit zusammengepreßten Lippen am Ruder stand und das Schiff
um die Biegung steuerte. Dann kam wieder ein gerades Stück,
und Hungtschang spürte nur mehr das Stampfen der wieder mit
voller Kraft laufenden Maschinen.
Hungtschang stand breitbeinig auf der Brücke. Noch nie hatte
er ein Schiff mit einer derartig unbändigen Kraft geführt:
zweihundertvierzigtausend PS, sechzigtausend für jede der vier
gewaltigen Schrauben, die sie mit einer geradezu unglaublichen
Geschwindigkeit von achtzig Stundenkilometern flußaufwärts
trieben. Er betrachtete sein Spiegelbild im vorderen
Brückenfenster und stellte fest, daß er ruhig und gelassen wirkte.
Er lächelte, als das Schiff an einem
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