Höllenherz / Roman
das besagte, wer keine Hitze verträgt, solle aus der Küche verschwinden, und Lor handelte danach, indem er sich zurückzog, ehe er eine unglaubliche Dummheit beging. Diese Vampirin – und womöglich auch Mörderin – war heiß genug, um sein Fell in Brand zu stecken. Als er sie auf das Bett gedrückt hatte, hatte sich jede Zelle in ihm aufgerichtet und gebettelt.
An so etwas durfte ein Höllenhund nicht einmal denken, erst recht nicht ein Alpha. Hunde lebten nach festen jahrtausendealten Regeln, und diese Regeln besagten, dass kein Hund sich außerhalb seines Rudels vergnügte. Das taten sie einfach nicht – allein schon deshalb, weil sie hinterher nicht lügen konnten, was ihren Fehltritt betraf, falls sie einmal gestreunt sein sollten.
Und das allein war schon, gelinde gesagt, unangenehm.
Lor blieb auf dem Treppenabsatz stehen, atmete schwer und sah verdrossen auf die Kratzer von ihren Handschellen an der Wand. Seine Haut kribbelte, als hätte er neben einem glühenden Brennofen gestanden. Über den schmalen Vampirkörper nachzudenken machte es noch schlimmer. Er hatte verschwinden müssen, bevor er die zweiten Handschellen befestigen konnte. Ihre Gegenwehr hatte in ihm den Drang geweckt, sie hinunterzudrücken, sie zu schmecken, sie zu nehmen.
Bei diesem Gedanken wurde das Kribbeln zu einem lästigen Kitzeln.
Vielleicht war er allergisch. Schließlich war sie so anders als er, wie es irgendeine Kreatur nur sein konnte: eine Vampirin, eine Abtrünnige, die sich von ihrem Erzeuger losgesagt hatte, und auf der Flucht von einem Verbrechensschauplatz. Mithin verkörperte sie alles, was die ordentliche, familienorientierte Rudelstruktur ablehnte.
Und Lor war ein ernster, sachlicher Anführer, bei dem man am wenigsten befürchtete, er könnte ausbrechen und Spaß haben. Dennoch hatte er sie an seinen Bettpfosten gekettet. Mit welcher Saat des Chaos diese flüchtige Vampirin auch infiziert war – sie musste ansteckend sein, denn nun wuchs sie in ihm.
Böser Hund.
Wer redete so mit einem Höllenhund? In einem sehr wenig weisen Winkel seiner Seele fand er es herrlich. Als er weiter die Treppe hinaufstieg, war er etwas langsamer, so dass ihm das Echo seiner Schritte umso lauter vorkam.
Er sollte sie der Polizei übergeben. Die Höllenhunde hatten nichts mit ihr zu schaffen. Und wie könnte er entscheiden, ob sie ihre Cousine ermordet hatte oder nicht? Er war ein Gesetzesvollstrecker, kein Detective. Und für ihn musste anderes Vorrang haben, zum Beispiel Helver und andere Welpen, die sich in Schwierigkeiten brachten. Nicht zu vergessen die Präsenz, die durch die Nacht jagte und Gebäude in Brand steckte.
Die Präsenz, von der Lor glaubte, dass sie das Ergebnis einer Geisterbeschwörung sein könnte. Solch ein Zauber verlangte ein Opfer, und gewöhnlich ein grausames.
Vielleicht war die ermordete junge Frau Teil von dem allen. Und vielleicht trug seine schöne Gefangene die Hauptschuld.
Lor erreichte den vierzehnten Stock und öffnete vorsichtig die Treppenhaustür. Er hatte die Sirenen vorhin gehört, und zum zweiten Mal in dieser Nacht fand er sich an einem Tatort wieder. Seine Nackenhaare sträubten sich, während sein Revierinstinkt gegen so viele fremde Männchen in seinem Gebäude revoltierte.
Uniformierte Polizisten standen vor der Wohnung Nummer fünfzehn-vierundzwanzig. Die Tür war von einigen offiziell aussehenden Männern blockiert, hinter denen die Blitzlichter der Spurensicherer zuckten. Jemand fragte nach den Bändern der Sicherheitskameras am Eingang. Lor wusste, dass der Mann kein Glück haben würde. Das Haus war alt, und weil es hier bisher nur zu sehr wenigen Einbrüchen gekommen war, hatte man Kameras nie für nötig gehalten – bis jetzt.
»Keinen Schritt weiter!«, befahl einer der Uniformierten und hielt eine Hand in die Höhe. Er war ein junger kräftiger Kerl, dessen Züge noch jugendlich-unvollendet wirkten.
Lor blieb stehen und zeigte ihm das vollkommen ausdruckslose Gesicht, das Höllenhunde allen Außenstehenden gegenüber aufsetzten. Aus irgendwelchen Gründen hatte er es nur bei seiner Vampirin nicht getan. Diese Frau wirkte auf ihn wie ein plötzliches Hirnfieber, das ihn zu untypischem Verhalten bewegte. Eventuell war es eine richtig schlechte Idee, sie in seinem Schlafzimmer zu behalten. Er konnte fast hören, wie Perry fragte: »Meinst du?«
»Tatort«, erklärte der Uniformierte. »Gehen Sie bitte weiter!«
»Was ist denn passiert?«, erkundigte Lor sich, der
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