Höllenherz / Roman
Lor ein Bild von Talia durch den Kopf. »Ich halte meine Nase auf dem Boden.«
»Sind Sie ein Spitzel?«
»Ich sorge für Ordnung.«
»Ist das nicht Alessandro Caravellis Job? Er ist der Friedenswächter in Spookytown.«
»Er heuert von Zeit zu Zeit mein Rudel an. Und im Moment bin ich seine Urlaubsvertretung.« Lor lächelte verhalten, denn dieser Begriff war so herrlich nichtssagend
menschlich.
Nach einer längeren Pause nickte Baines. »Okay. Vielleicht sollten Sie sich ansehen, was wir da drinnen haben.« Er wies zu der offenen Wohnungstür. »Ziehen Sie sich die hier über die Schuhe.«
Lor streifte sich gehorsam die Papierstulpen über die Stiefel. Ihm gefiel nicht, nach menschlichen Regeln spielen zu müssen, doch gegenwärtig brauchte er Antworten, und die holte er sich überall, wo er sie kriegen konnte. Er hatte sich mehr Informationen von den Hunden erhofft, die die Leute beim Brand befragt hatten, aber sie hatten rein gar nichts erfahren. Helvers Bericht war bislang der ausführlichste.
Nachdem sie den Brandort verlassen hatten, war Lor dem Welpen gefolgt und hatte ihn ein zweites Mal befragt. Und ein drittes. Lor ließ sich Zeit damit, sich eine Strafe zu überlegen, die dem Diebstahl der Wahlkampfkasse angemessen war. Noch war er viel zu wütend, um klar denken zu können, und es schadete nicht, wenn Helver ein bisschen schmorte.
Leider hatte der junge Idiot seiner Geschichte nichts Nützliches mehr hinzuzufügen gehabt. Weder hatte er einen Eindringling gesehen noch gehört oder gerochen. Lor vermutete, dass der Brand aus einiger Entfernung entfacht worden war. Eindeutig Zauberer, wahrscheinlich Geisterbeschwörung. Eventuell ein Hexer, Dämon oder Vampir. Große dicke Zauberbücher setzten die Geduld eines Unsterblichen voraus.
Er blieb hinter Baines und schaute sich aufmerksam um. Drinnen wimmelte es von Polizisten, und von den vielen Lichtern war es heiß. Zudem machte die Helligkeit alle Farben grell. Lor hatte genug Krimis gesehen und wusste, dass die Spurensicherung nach einem Mord einiges über den Tathergang aus den Blutspritzern herauslesen konnte.
Die Wände und die Decke hier dürften reichlich zu erzählen haben.
Höllenhunde waren überaus vertraut mit dem Tod. Sie waren Raubtiere und in dem Gefängnis, in dem Lor aufwuchs, ununterbrochen gejagt worden. Er hatte Versklavung, Folter und Grausamkeit um des reinen Vergnügens willen gesehen; und dennoch empfand er beim Anblick von Michelles Leiche eine brennende Traurigkeit. Sie war eine zarte Frau gewesen, und ihr gebrochener Körper erinnerte ihn an ein Vogelküken, das aus dem Nest gestürzt war. Schnittwunden säumten ihre Haut, weil sie versucht hatte, sich gegen ihren Angreifer zu wehren. Ihr Hals bestand aus einem blutigen Brei, wo ihr sehr grob der Kopf abgehackt worden war. Lor betete, dass sie bis dahin nicht mehr bei Bewusstsein gewesen war.
Vampire exekutierten ihresgleichen mit Schwertern, was relativ wenige präzise Schnitte bedeutete. Dieser Täter hatte, wie Lor vermutete, eine Waffe benutzt, mit der sehr viel mehr Schnitte nötig waren – einen Dolch oder ein Messer.
Die Kamera blitzte weiter, und das Lichtgewitter zerrte bedenklich an Lors Nerven.
Der Kopf lag noch dort, wo die Polizei ihn vorgefunden hatte, ein ganzes Stück vom Körper entfernt. Die Augen waren halb offen, die Lippen erschlafft und ebenfalls einen Spalt geöffnet. Lor wandte sich von dem wächsernen Gesicht ab. Es ähnelte Talias zu sehr.
Ein Officer stand im Wohnzimmer und skizzierte die Lage aller Objekte: des umgekippten Mobiliars, des Körpers und des abgetrennten Kopfes. Ohne Kamera oder Skizzenblock musste Lor sich einprägen, was er sah: eine umgestürzte Stehlampe, ein kleines umgekipptes Bücherregal, überall Taschenbücher, verrutschte Bilder an den Wänden. Michelle Faulkner hatte gekämpft.
Lor fuhr zusammen, als jemand ihn anrempelte. Es hielten sich entschieden zu viele Leute hier auf, und noch nahm niemand Fingerabdrücke, hob Faserstückchen auf oder saugte den Teppich nach Beweisstücken ab. Wahrscheinlich kamen noch weit mehr und trampelten überall durch.
Für einen Höllenhund gab es kaum eine blödere Art der Ermittlung. Das erste und offensichtlichste Werkzeug bildete eine gute Nase, und jetzt stauten sich hier derart viele Gerüche, dass sie jede Spur vom Täter überlagerten. Lor konnte einzig mit Sicherheit sagen, dass die letzten Nichtmenschlichen in dieser Wohnung Höllenhunde und Vampire gewesen waren.
Sein
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