Höllenherz / Roman
eines Querkorridors weiter vorn ausmachen. Vorsichtig bewegte er sich vorwärts, weil er nicht mit einer offenen Tür oder einem Wandvorsprung kollidieren wollte. Zwar hätte er eine solche Kollision überlebt, womöglich aber nicht den Lärm, den er damit verursacht hätte.
Dann bemerkte er ein Licht, das über den Boden kroch. Es kam von vorn links, dort, wo er den Schützen vermutete. Als er näher trat, hob Lor seine Waffe und konzentrierte sich auf den Südkorridor, sowie dieser in Sichtweite war.
Er blieb abrupt stehen. Der Schütze ging lässig den Flur hinunter, sein Gewehr – eine kastige Halbautomatik – über eine Schulter gehängt. In der anderen Hand hielt er eine Taschenlampe. Die Gestalt war groß und durchtrainiert mit kragenlangem Haar, doch es handelte sich nicht um Belenos. Lor hatte den Vampirkönig deutlich größer in Erinnerung. Wer war dieser Kerl? Lor nahm ihn ins Visier.
»Auf die Knie! Sofort!«, brüllte er.
Die Taschenlampe erlosch. Die Gestalt drehte sich nicht um oder zuckte auch nur zusammen, sondern stürmte los wie ein aufgescheuchtes Kaninchen. Lor feuerte in der Hoffnung, sie so dazu zu bringen, stehen zu bleiben, was nicht funktionierte. Also rannte er ihr nach. Er wagte nicht, in seine Hundegestalt zu wechseln, denn die Sekunden, die dies dauerte, hätten ihn die Beute kosten können.
Er war etwa fünfzig Schritte gelaufen, da sah er den anderen nicht mehr. Er stoppte und horchte, konnte jedoch nichts hören. Instinktiv warf er sich auf den Boden – eine Sekunde bevor eine Kugel durch die Luft pfiff. Lor hatte das Mündungsfeuer gesehen. Der Kerl benutzte eine Tür als Deckung. Lor erwiderte das Feuer, doch seine Kugel bewirkte lediglich, dass Funken vom Türknauf aufstoben.
Der andere war im Notausgang ein kleines Stück weiter verschwunden. Sie waren beinahe wieder beim Haupttreppenhaus angelangt, deshalb nahm Lor eine Abkürzung durch einen Seitengang, um dem Schützen den Weg abzuschneiden. Schusswechsel in einem Treppenhaus waren unschön; da nutzte Lor lieber das Überraschungsmoment.
Er galoppierte die Treppe hinunter, nahm die letzten Stufen im Sprung, rannte zur Feuerschutztür auf der anderen Seite der Eingangshalle und riss sie auf. Zu spät. Der Schütze war bereits zwei Treppen tiefer, auf dem Weg ins Untergeschoss.
Glücklicherweise funktionierte die Notbeleuchtung hier. Lor raste dem anderen nach und streifte im Laufen seine dicke Jacke ab.
Er verringerte den Abstand zu dem Schützen beständig, während er ihm ins Kellergeschoss mit den Computerlabors, den Schließfächern und dem nackten Estrich folgte. Unterdessen erkannte Lor weitere Einzelheiten: Der Kerl trug eine Strickmütze und schwarze Kleidung, und er war weiß. Menschlich? Graffiti zog sich die Wand neben ihnen entlang. Der Läufer bog zur Seite, stürmte durch eine Feuerschutztür und in einen Tunnel, der diesen Trakt mit dem Computerlabor verband.
Darauf hatte Lor gehofft: dass der andere in einen Bereich flüchtete, in dem es keine Verstecke gab, und Lor leicht auf ihn schießen könnte. Der Schütze hatte sich quasi in die ideale Killerzone begeben.
»Halt!« Sein Ruf hallte von den Wänden wider.
Ohne stehen zu bleiben, wandte der Schütze sich nach rechts und öffnete eine Tür an der Tunnelseite.
Wie geht das denn?
Lor eilte ihm nach. Er war schon in diesem unterirdischen Gang gewesen und wusste, dass es hier keine Seitentüren gab.
Trotzdem war der Schütze durch eine Tür verschwunden.
Lor verlangsamte seine Schritte, bereit, nach dem unerwarteten Türknauf zu greifen.
Nur war keiner da. Kein Knauf. Keine Tür. Nicht einmal ein Spalt im Mauerwerk, wo die Tür gewesen sein musste. Nichts außer Betonwand. Ein Kribbeln fuhr Lor in die Finger, als er die Wand berührte.
Magie.
Magie, die nicht einmal die Macht des Höllenhundes über Durchgänge brechen konnte.
Zorn überkam ihn, der seine Haut zum Brennen brachte. Er war so unglaublich wütend, dass ihm kein Fluchen helfen konnte. Stumm trat er zurück, wandte sich um und ging rasch zum Ende des Tunnels, wo sich der Eingang zum Cambridge-Trakt befand. Er biss die Zähne zusammen, während unheimliche, kalte Wut ihn packte.
Hexerei. Hass. Beute. Entkommen. Reißen. Beißen.
Als er ins Computerlabor unten kam, roch er feuchten Estrich. Ein Mopp und ein Eimer in einer Ecke erinnerten ihn an den Rohrbruch. Er schritt die Rollstuhlrampe hinauf ins Erdgeschoss. Wo steckte Perry? Lor holte sein Handy hervor und drückte die
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