Höllenherz / Roman
Telefonmasten und Briefkästen zu gefährdeten Spezies.
Lor war fast lachhaft froh, als er endlich parken und den restlichen Weg auf vier Beinen zurücklegen konnte. Nun holte er einiges an Zeit wieder auf, indem er am Cambridge-Building entlang die Schneewehen in langen Sprüngen nahm. Als er um die Ecke bog, schlug ihm ein feuchtkalter Wind entgegen.
Er hoffte, Perrys Beweis taugte etwas, denn Lor fürchtete, dass die Flughäfen wieder öffneten und Omara in Fairview aufkreuzte. Die Königin war schon unter normalen Umständen anstrengend, und momentan hatte Lor mehr als genug um die Ohren. Mit Belenos, gewalttätigen Fremden, Mord, Wahlkampf und allem sonst, was die Propheten ihm servierten, war er wahrlich ausgelastet. Ein geringerer Hund hätte wohl längst den Schwanz eingekniffen und sich jaulend verzogen. Lor hielt sich hingegen noch recht gut, auch wenn ihm allmählich ein bisschen der Kopf schwirrte, wenn er genauer darüber nachdachte.
Der Stress beeinträchtigte zudem sein Urteilsvermögen; wie sonst ließ sich erklären, dass er eben wild mit Talia auf der Couch herumgeknutscht hatte? Was war in ihn gefahren? Er sollte sich eine Partnerin aus dem Rudel wählen, nicht mit Vampiren flirten. Besonders nicht mit Vampiren – falls Erratas Quellen stimmten –, die mit Schlächtern verwandt waren. Er wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen, aber das würde erklären, warum sie wie ein Profi kämpfen konnte und im Bezug auf ihre Vergangenheit so zugeknöpft war. Doch wer immer sie gewesen war, die Dinge hatten sich geändert. Was in aller Welt war mit ihr passiert?
Es wäre ein Leichtes gewesen, und klug überdies, sich von einer Frau fernzuhalten, die nicht bloß zur falschen Spezies gehörte, sondern höchstwahrscheinlich im Lager des Erzfeindes aufgewachsen war. Aber sie steckte in Schwierigkeiten, und Lor konnte einfach nicht anders. Ihr Kuss war unvergleichlich gewesen. Sowie er sie gekostet hatte, gab es kein Zurück mehr.
War das allein die Verlockung der verbotenen Frucht? Oder rebellierte er, weil er Mavritte oder eine der anderen Hündinnen ablehnte?
Nein.
Talia war wunderschön, klug und mutig. Zwar kannte er nicht ihre ganze Geschichte, doch sie war zweifellos eine Kämpferin. Niemand trauerte so tief wie sie, der nicht wusste, was es hieß zu lieben. Und keine Frau setzte sich in ein Zimmer voller Gestaltwandler zum Informationsaustausch, außer, wenn sie ihnen entgegenkommen wollte. Nicht zu vergessen, dass sie Belenos davongelaufen war
und
ihn bestohlen hatte. Diese Art Unerschrockenheit hätte Lor sehr gern auf seiner Seite.
Ein Alpha-Paar bildete eine Partnerschaft. Lor hatte seine Leute aus der Hölle geführt und war zurückgegangen, um die Nachzügler zu holen. Er brauchte eine Partnerin, die Gleiches leistete, ohne mit der Wimper zu zucken, eine, die sich nicht fürchtete, die Schlafzimmertür einzutreten und einen Baseballschläger schwingend herauszustürmen. Um es so auszudrücken, dass es auch das Tier in ihm verstand: Sie musste richtig riechen.
Talia tat genau das und noch manches mehr.
Die Zeit mit ihr auf der Couch hatte er aus sehr gutem Grund erübrigt. Er wollte sie haben. Zum Geier mit der Höllenhundetradition; auf keinen Fall würde er sich eine Frau wie sie verwehren, bevor er sie überhaupt kennengelernt hatte!
Wir schreiben das einundzwanzigste Jahrhundert, und wir sind nicht mehr in der Hölle. Gehen wir mal mit der Zeit!
Lor duckte sich und lief weiter. Er orientierte sich an den Notbeleuchtungen, um den Eingang zu finden. Als er fast da war, hypnotisiert vom rhythmischen Knirschen seiner Pfoten im Schnee, öffnete sich eine der Türen, und Perry steckte seinen Kopf heraus. »Ich habe heißen Kaffee! Da wird ja Fido in der Pfanne verrückt, du siehst aus wie ein arktischer Troll!«
Heißer Kaffee, Halleluja!
Lor war etwa dreißig Meter entfernt und beschleunigte sein Tempo.
Die Kugel hörte er schon vor dem Einschlag durch die Luft pfeifen. Sie krachte Zentimeter über Perrys Kopf in den Türrahmen. Der Werwolf wich zurück, während Lor einen Schlenker zur Gebäudeecke machte.
Heckenschützengewehr,
ging es ihm durch den Kopf, als er seine menschliche Gestalt annahm und unter den Jacken- und Pulloverschichten nach seiner Waffe angelte. Ein Schuss war etwas anderes als eine Enthauptung mit dem Schwert. Andererseits war Perry kein Vampir, und Lor hätte seine Hinterläufe verwettet, dass es sich um Silbermunition gehandelt hatte.
Er hob seine Waffe und
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