Höllenknecht
hineinsetzen, aber es muss wohl sein. Dort hat der Juwelier gewohnt. Dort hat alles seinen Anfang genommen.»
«Aber allein gehst du mir nicht, Mädchen!» Gustelies hatte die Stirn in Falten gezogen. «Das kommt überhaupt nicht in Frage.»
Sie nahm ihren Umhang vom Haken und verließ hinter Hella das Pfarrhaus. Draußen blieb sie stehen und schnupperte die Luft. «Es riecht nach Herbst.» Sie lächelte, aber es war ein trauriges Lächeln. Ein Lächeln, das man an Poststationen antraf und auf Friedhöfen. «Der Sommer ist vorüber. Ich sehe es am Licht, ich rieche es.»
Hella schnüffelte ebenfalls in der Luft herum. «Es riecht wie immer», befand sie. «Und die Sonne scheint auch wie immer. Außerdem ist es noch ziemlich warm.»
Sie zog ihre Mutter am Arm. Gemeinsam stiegen sie hinter dem Liebfrauenberg die schmale Gasse bis zum Roten Ochsen hinauf. Vor der Tür zögerte Hella noch einmal. «Eigentlich möchte ich wirklich nicht hier hinein.»
«Warum bist du plötzlich so störrisch?», fragte Gustelies.
«Ich möchte nicht, dass die Leute schlecht über die Frau des Richters reden. Dass sie sagen, ich würde im Gasthaus sitzen. Es ziemt sich einfach nicht.» Sie sah die Straße hinab,packte Gustelies’ Hand und zog sie heftig in eine kleine Nische, die zwischen zwei Häusern lag und in der sich der Abfallgraben befand.
«Pass doch auf, mein Kleid wird ganz schmutzig», schimpfte Gustelies und machte sich los. «Ich möchte überhaupt wissen, was in dich gefahren ist. Warum ziehst du mich hier in den Dreck?»
«Pscht jetzt!», befahl Hella in einem Ton, der Gustelies sofort verstummen ließ.
Hella presste sich mit dem Rücken an die Hauswand und spähte ganz vorsichtig auf die Gasse. Dann raunte sie ihrer Mutter zu. «Ich glaube es nicht. Der Schultheiß ist eben in den Roten Ochsen gegangen.»
Gustelies schüttelte den Kopf. «Der Zweite Bürgermeister? Nein, Kind, du musst dich täuschen. Was sollte der denn im Roten Ochsen?»
«Vielleicht ermittelt er dort.»
«Und wir? Was machen wir jetzt?»
Hella tippte sich mit dem Zeigefinger an die Nase. «Wir sehen uns da mal um, aber wir gehen durch die Hintertür.»
«Ich glaube es einfach nicht. Arvaelo ist kein Mörder.» Seit der Schultheiß mit dem Blattgold unter dem Arm das Amtszimmer des Richters verlassen hatte, summte es in Heinz’ Kopf wie in einem Bienenstock. «Nein, Arvaelo, das glaube ich einfach nicht.» Heinz Blettner hob die Weinkanne zum Zeichen, dass das Schankmädchen sie neu füllen möge. Seit einer halben Stunde saß er nun schon in der Ratsschänke, aber der Wein hatte ihn nicht beruhigt. Ganz im Gegenteil. Heinz presste die Hände an die Schläfen. In seinem Kopf summte und brummte es, die Gedanken krabbelten übereinander, wimmelten überall hin und her undwie es schien, ohne Ziel. Nur an eines konnte sich Heinz halten. Eines stand fest. Arvaelo war kein Mörder. Der nicht. Er, Heinz Blettner, würde das beweisen. Und wenn es ihn sein Richteramt kostete. Heinz sprang auf.
«Ich muss weg», rief er dem Schankmädchen zu, «ich zahle später. Oder gleich morgen.» Schon war er aus der Ratsschänke hinaus, eilte durch die Gassen, bis er an die Herberge kam, in der der Sarazene gewohnt hatte. Dort traf er auf den Büttel, der sich auf einen gemütlichen Feierabend freute.
«Komm mit!» Heinz machte es kurz. «Du willst dir doch etwas dazuverdienen, oder nicht?»
Der Büttel nickte. Er war heilfroh, dem Richter einen Gefallen tun zu können. Denn dass Arvaelo aus Samarra der vermeintliche Mörder des Leipziger Juweliers und der Brandstifter des Kannengießerhauses war, hatte sich längst auch bis zu ihm herumgesprochen. Und er hatte einem Mörder Unterschlupf geboten!
Er holte sogar noch seinen Neffen, einen breitschultrigen jungen Mann, der als Auflader im Hafen arbeitete, dazu. Zu dritt machten sie sich auf den Weg in den Wald, dorthin, wo die Kiste mit den Knochenresten gefunden worden war.
«Grabt, Männer», bat der Richter und bezeichnete eine Stelle, die ungefähr so groß war wie eine Bettstatt für Eheleute. «Grabt. Und wenn Ihr etwas findet, so ist Euch nicht nur der Lohn, sondern obendrein noch eine Kanne guten Weines in der Ratsschänke sicher.»
«Was suchen wir überhaupt?», wollte der Büttel wissen.
Der Richter zuckte mit den Achseln. «Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, dass Arvaelo ganz gewiss nicht der Mörder war.»
Der Büttel nickte. Dann spuckte er in die Hände und griff nach dem Spaten.
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