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Höllenknecht

Höllenknecht

Titel: Höllenknecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Kabinnale?»
    Die Umstehenden bekreuzigten sich, sahen das Mädchen mit leiser Abscheu an. Nur Hella bückte sich und strich dem Mädchen mit dem Zeigefinger einen Zuckerkrümel von der Wange. «Kannibale heißt so viel wie Menschenfresser. Viele glauben, dass es ganz, ganz weit weg Leute gibt, die andere Leute aufessen.»
    Das Kind nickte ernsthaft. «So wie der Schwarze Mann, ja? Der kommt, wenn die Kinder böse sind. Und dann steckt er sie in seinen Sack und nimmt sie mit. Zur bösen Hexe. Die ist seine Mama, die kocht ihm die Kinder. Und brät sie zum Abend, nicht wahr?»
    Hella wollte antworten, doch die Mutter funkelte sie wütend an und zerrte das Mädchen mit sich fort.
    «Ich habe gehört», sagte Jutta Hinterer, «dass das eigene Fleisch für Menschen nicht essbar ist. Man kann nur fremde Leute auffressen. Vielleicht noch den Bruder oder die Mutter. Aber niemals einen Teil des eigenen Körpers.»
    Hella zuckte mit den Achseln. «Das mag sein. Einmal hat mir die Buchdruckerin Angelika von einem Buch erzählt, welches von Christoph Kolumbus handelte, dem Mann, der Amerika entdeckt hat. Er hat erzählt, dass er dort im fremden Land auf Menschen gestoßen sei, die ihre Toten aufgegessen haben, um ihnen damit Achtung und Ehre zu erweisen. Die nannten sich Kannibalen. Wenn ich nur daran denke, muss ich speien.»
    Jutta winkte ab. «Ach, was, das ist alles Unfug. Achtung und Ehre, dass ich nicht lache. Kannibalen gibt es überall. Auch bei uns.»
    Die Umstehenden unterbrachen ihre Gespräche undwandten sich der Geldwechslerin zu. Eine Frau stellte ihren Korb auf den Boden und verschränkte die Arme bequem vor der Brust, eine andere riss ein Stück ihres warmen Brotes ab und biss herzhaft hinein.
    «Jawohl, Unfug», wiederholte Jutta. «Wie oft habe ich in heißen Sommern schon Ratten gesehen, die ihre eigenen Jungen gefressen haben! Auch in diesem. Jawohl! Ihr braucht nur mal runter zum Hafen zu gehen. Dort wimmelt es von Ratten. Aber auch Hühner können giftig werden. Ich habe schon erlebt, dass sie einander so heftig anpicken, bis eines stirbt.»
    «Oder Schweine», warf eine Frau ein, die an ihrer Kleidung als Bäuerin zu erkennen war. «Auf unserem Hof habe ich erlebt, wie eine Sau ihrer Schwester Ohren und den Schwanz abgefressen hat.» Sie nickte mehrmals bestätigend mit dem Kopf und fügte hinzu: «Mag sein, dass die Sarazenen oder die Schwarzen sich gegenseitig auffressen. Christenmenschen würden so etwas aber niemals tun.» Nach diesen Worten sah sich die Bäuerin mit stolzgeschwellter Brust um und registrierte mit Genugtuung die Zustimmung der anderen.
    Hella biss sich auf die Unterlippe. Dann räusperte sie sich. «Auf dem ersten Kreuzzug», sagte sie, «vor rund fünfhundert Jahren, gab es eine große Hungersnot bei Maarat an-Numan. Dort, so berichtet Albert von Aachen, haben die guten Christenmenschen nicht nur Hunde, sondern auch Muselmanen gegessen. So steht es jedenfalls in der Chronik. Die Buchdruckerin hat’s mir erzählt.»
    Die Umstehenden verzogen ungläubig die Gesichter. Die Bäuerin spuckte Hella sogar vor die Füße. «Verleumdung ist das. Kein Christenmensch würde jemals so etwas tun.» Hella zuckte mit den Achseln und blieb eine Antwortschuldig. Ein junger Mann, an seiner Kleidung als Studiosus zu erkennen, zwinkerte Hella zu und wandte sich an die Bäuerin: «Wie oft, gute Frau, habt Ihr schon zu Euerm Sohn, als er noch ein Säugling war, gesagt: ‹Ich könnte dich auffressen.› Oder gar: ‹Ich habe dich zum Fressen gern.›»
    Die Bäuerin wand sich. «Das kann man doch nicht vergleichen. Ein Wort ist noch keine Tat.»
    «Aber vor der Tat steht das Wort», gab der Student zu bedenken. «Am Anfang war immer das Wort. Denkt nur an die Heilige Schrift.»
    «Pfft», machte die Bäuerin und wandte sich ab. Die Menge tuschelte noch ein wenig, war gerade im Begriff, sich zu zerstreuen, als ein ohrenbetäubendes Gezeter über den Platz hallte.
    «Was ist denn das für ein Lärm?», wollte Hella wissen und stellte sich auf die Zehenspitzen, während Jutta sich ihrer Ellbogen bediente, um einen großen Mann, der ihr die Sicht versperrte, beiseite zu drängen.
    Zwei Männer, der Kleidung nach einfache Arbeiter oder Tagelöhner, hatten einen strampelnden jungen Mann bei den Armen gepackt und zerrten ihn hinter sich her, während der junge Mann fürchterlich schrie. Er war ungefähr fünfzehn Jahre alt, hatte große runde Augen, die vor Angst ganz dunkel und starr waren. Seine Nase war

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