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Höllenknecht

Höllenknecht

Titel: Höllenknecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Kind. Meine Füße sind noch von gestern ganz geschwollen. Und die Puste bleibt mir auch allmählich weg.» Inzwischen waren sie am Komödienplatz angelangt, bogen von dort in die Große Bockenheimer Gasse und sogleich nach links hinter den Roten Hof. Schon von weitem sahen sie das Grüppchen stehen. Der Henker, ein Hüne von bald sieben Fuß Körpergröße, ragte aus der Menge heraus. Als sie näher kamen, erkannte Gustelies überdies noch ihren Schwiegersohn, den Richter, daneben den Stöcker, einen Stadtmedicus, einen Feldchirurgen und zwei Unbekannte, davon einer mit fremdländischem Aussehen. «Oh, welch seltener Besuch ist denn da an das Mainufer geschwemmt worden?», fragte sie und reckte den Hals. «Und wer ist der Glatzkopf da?»
    «Der Glatzkopf, wie du ihn nennst, heißt Eddi Metzel. Er ist der neue Leichenbeschauer.»
    «Aha. Und wo kommt er so plötzlich her?»
    Hella kicherte. «Es heißt, er wäre eigentlich als Stadtmedicus vorgesehen gewesen. Der Landgraf hat ihn empfohlen. Aber er kann kein Blut sehen. Deshalb ist er Leichenbeschauer geworden. Tote bluten nicht.»
    «Das kann doch nicht wahr sein. Und wer ist der Sarazene?»
    Hella erwiderte nichts, hielt plötzlich inne.
    «Glaubst du an Kannibalen?», fragte sie ihre Mutter, ohne auf deren Fragen einzugehen.
    Gustelies schüttelte den Kopf. «Kann sein, dass es anderswo welche gibt. Aber warum sollte hier jemand einen anderen Menschen auffressen? Der letzte Krieg ist lange her, die Ernte im vorigen Jahr war gut, die Speicher und Kontore der Handelsherren und Kaufleute sind gut gefüllt. Die Preise auf dem Markt sind nicht höher als gewöhnlich. Ganz im Gegenteil. So preiswert wie zurzeit war Fleisch schon lange nicht mehr. Warum also sollte jemand beispielsweise seinen Nachbarn auffressen?»
    «Aus Liebe vielleicht?», fragte Hella, selbst ganz erstaunt über ihre Antwort.
    Gustelies sah sie mit gerunzelter Stirn an.
    «Die Leute reden solchen Unfug», behauptete Hella schnell und flüchtete vor dem Blick ihrer Mutter. «Aber ich glaube nicht, dass es Liebe ist, wenn man einem anderen Schmerzen zufügt.»
    «Natürlich reden die Leute Unfug», behauptete Gustelies felsenfest. «Aber in diesem Falle stört es mich nicht einmal. Je mehr Aufsehen dieser Fall erregt, umso mehr Gaukler und Spielleute kommen in die Stadt. Und vielleicht sehe ich auf diese Art sogar Tom wieder.»
    Gustelies sah lächelnd auf ihre Tochter und dachte an den schönen Lautenspieler, den sie im Frühjahr bei einem anderen Mordfall kennengelernt hatte. Damals war sie in Tom verliebt gewesen, doch er wollte sich nicht von seiner Truppe, von seinem Broterwerb trennen. Gustelies hatte ihm viele Nächte nachgeweint und sich schließlich damit abgefunden, auch weiter allein zu bleiben und ihrem Bruder den Haushalt zu führen.
    «Glaubst du wirklich?», fragte Hella zweifelnd und verzog den Mund.
    Gustelies seufzte. «Nein», sagte sie leise und mit einem Seufzen. «Nein. In Wirklichkeit glaube ich nicht daran. Ich werde Tom nie wiedersehen.» Einen Augenblick schweifte ihr Blick in die Ferne und verlor sich im Blau des Horizonts. Aber ich werde nie aufhören, an ihn zu denken und mir vorzustellen, wie es mit uns geworden wäre, dachte sie. Sie seufzte noch einmal, rückte ihr Mieder zurecht und sagte: «Mal sehen, um was es dieses Mal geht. Ich könnte jetzt schon wetten, dass wir es nicht mit einem normalen Mordfall zu tun haben.» Sie stürmte auf die kleine Gruppe zu.
    Hella folgte ihr auf dem Fuß. Doch je näher sie kam, umso langsamer wurde sie.
    Gustelies bemerkte nichts davon. Sie war unterdessen bei den Männern angekommen, blieb hinter dem Henker und dem Stadtmedicus stehen und sah den Orientalen mit aufgerissenen Augen an. Noch nie, so schien ihr, hatte sie einen schöneren Mann gesehen. Gustelies suchte seinen Blick, blieb an ihm hängen wie eine Fliege am Honigtopf. Wie von selbst begannen ihre Lippen zu lächeln. Ohne sich dessen bewusst zu sein, fuhr sie sich mit der Hand über das Kleid und warf den Kopf ein wenig nach hinten. Dann senkte sie den Blick, aber nur kurz, und schaute gleich darauf von unten den fremden, schönen Mann an. Und dieser betrachtete sie, als hätte er etwas ausgesprochen Schönes und Wertvolles vor Augen, etwas, das ihn überraschte. Sein Gesicht wurde ganz weich, die Lippen kräuselten sich, in den Augen entstand ein Glanz, und der ganze Mann wirkte plötzlich gestrafft. Er ging einen Schritt auf Gustelies zu, und fast schien es, als wolle

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