Höllenknecht
breit und platt, der weit aufgerissene Mund volllippig. Sein Körper war gedrungen. Er stieß unverständliche Laute aus, die eher von einem Tier als von einem Menschen zu stammen schienen. Sein Körper wand sich in den Griffen der Männer. Er heulte, in seinen Mundwinkeln bildete sich Schaum.
Eine Frau lief händeringend hinter ihnen her, wurdevon einem weiteren Mann am Arm festgehalten. «Er hat nichts getan. Mein Junge ist kein Menschenfresser. Ihr seht doch selbst, ihr guten Leute, dass er ein Tölpel ist. Im Kopf hat er nichts als Grütze, kennt kein Gut und kein Böse, kann sich nicht einmal allein anziehen. Ein Narr ist er, ein krankes Geschöpf, aber von Gott geliebt und vom Pfarrer getauft. Er hat nichts getan. So war mir Gott helfe, ihr lieben Leute, er hat nichts getan!»
Die Rufe der Frau waren so laut und wurden immer wieder vom schrillen Geheul des Jungen unterbrochen, dass die Leute erneut ihre Körbe abstellten, die Hände vor der Brust verschränkten und auf ein neues Spektakel warteten. Nur Jutta Hinterer hielt nicht still. Dicht gefolgt von Hella, bahnte sie sich rüde einen Weg durch die Menge und schnitt der Gruppe den Weg ab. Die Hände in die Hüften gestemmt, baute sie sich vor den Männern auf. «Was soll denn das werden?», fragte sie. «Was hat das zu bedeuten? Was habt Ihr mit dem armen Jungen vor?»
Einer der Männer, die den Jungen hielten, riss an dessen Händen, die mit Blut besudelt waren. «Hier», schrie der Mann. «Blut. Da seht Ihr es. Das ist der Beweis. Das hier ist der Kannibale von Frankfurt.»
«Nein, nein!», kreischte die Mutter des Jungen dazwischen. «Er hat niemanden gefressen. Wie sollte er auch! Es liegen ja nicht auf Schritt und Tritt Menschenarme und Menschenbeine in der Gegend herum.»
«Also, was ist geschehen?», donnerte Jutta Hinterer so laut, dass der Junge erschrocken verstummte. Sie lächelte ihn kurz an, dann sah sie dem Mann in die Augen.
«Wir haben ihn unten gefunden. An der Heilig-Geist-Pforte.» Der Mann hob den Finger und nickte seinem Kumpan zu. «Und er war gerade dabei, einem Kätzchenden Kopf abzubeißen! Als wir kamen, lief ihm das Blut noch übers Gesicht.»
Die Menge schrie auf. Eine Frau griff in ihren Einkaufskorb, holte ein Ei heraus und warf es dem Jungen an den Kopf, sodass er erneut aufheulte. Eine andere trat näher und spuckte ihm ins Gesicht, eine dritte kreuzte Finger, ein Zeichen, mit dem man Dämonen abhielt. Die Mutter wollte hinzu, doch zwei andere Männer hatten sich gefunden und hielten sie so fest umklammert, dass sie sich nicht rühren konnte.
«Er weiß es nicht besser», schrie sie. «Er ist ein Schwachkopf, aber kein Menschenfresser.»
«Wer einem unschuldigen Kätzchen den Kopf bei lebendigen Leibe abbeißt, der ist noch zu ganz anderen Dingen fähig», befand der Mann und zerrte den Jungen ein Stück weiter.
Die Menge murmelte zustimmend. «Mit einem Kätzchen fängt es an, dann ist es ein Hündchen und am Ende ein Kindchen», schrie eine junge Frau, beide Hände schützend auf ihren schwangeren Bauch legend.
«Was habt Ihr mit ihm vor?», wollte die Geldwechslerin wissen.
«Wir übergeben ihn der Stadtwache», erklärte der Mann. «Soll der Richter entscheiden, was mit ihm geschieht. Auf jeden Fall werden die grausigen Funde jetzt aufhören. Die Meine traut sich ja kaum noch aus dem Haus.»
Eine Frau lachte. «Ich kenne die Deine», schrie sie hämisch. «Sähe ich so aus wie sie, traute ich mich auch nicht hinaus.»
Die Menge lachte, und der Junge begann erneut zu heulen. Er hing zwischen den Männern, hatte die Augen geschlossenund stieß mit weit aufgerissenem Mund ein Geheul aus, das ihn wie einen Wolf klingen ließ.
Hella trat zu Jutta. «Ihr solltet Euch nicht einmischen», sagte sie leise. «Lasst die wilden Männer den armen Kerl zum Richter schleppen. Ich bin sicher, mein Mann wird ihm nichts tun.»
Sie warf noch einen Blick auf den Jungen, dem der Sabber aus dem Mund lief und der irre um sich blickte. Dann winkte sie dem Stadtknecht, der mit umgehängter Hakenbüchse den Eingang des Rathauses bewachte. Nur zögernd folgte er ihrer Aufforderung. «Ich bin die Blettnerin», erklärte sie dem Stadtknecht. «Die Frau des Richters.»
Der Büttel nickte. «Ich kenne Euch, und ich sage Euch gleich, dass ich Euch keine Auskunft geben darf.»
Hella verdrehte die Augen. «Nicht diese alte Leier, Büttel. Die ganze Stadt weiß inzwischen, welche Anweisungen Ihr habt. Aber wisst Ihr auch, wer den letzten
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