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Höllenknecht

Höllenknecht

Titel: Höllenknecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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aufstehen. So, nun wisst Ihr es!»
    Sie packte den Jungen fester bei der Hand und ging entschlossenen Schrittes davon. Eigentlich hätte sie vom Römerberg aus nur die Neue Kräme hinaufgehen müssen, um nach Hause zu gelangen, doch sie wählte einen Umweg. «Nachts sind alle Katzen grau, heißt es», erklärte sie dem Jungen. «Aber ich sage dir, manche sind grauer als andere. Es ist Messe. Nicht jeder Fremde wird sich an die Sperrstunde halten. Und die Spitzbuben der Stadt wissen das gewiss zu nutzen. Wir beide haben zwar nichts zu verbergen, doch wir machen trotzdem einen kleinen Umweg.»
    Aus dem kleinen Umweg wurde ein größerer. Immer, wenn sie sich der belebten Neuen Kräme durch eine Seitengasse näherten, brach plötzlich eine Gestalt aus der Dunkelheit, die Josef so erschrecken ließ, dass er grell aufschrie. Gustelies verschloss ihm mit ihrer Hand den Mund, doch der Junge erschrak beim nächsten Mal ebenso. Also blieb nur der Weg durch die stillsten der engen Gassen. Einmal kamen sie an einem Gasthaus vorüber, dessen Tür offen stand. Über der Tür wiegte sich ein Schild im Wind, das an einer fingerdicken Kette befestigt war. «Gasthaus zum Roten Ochsen» stand drauf. Von drinnen war Geschrei zu hören. Aber nicht das übliche Wirtshausgeschrei, sondern eher Wutgebrüll. «Wo, verdammt, ist der verfluchte Schlüssel zum Weinkeller?», schrie jemand.
    Gustelies versuchte, einen Blick ins Innere zu erhaschen, doch vergeblich. Sie kicherte und sagte zu dem Jungen: «Hörst du, wie die Mannsleute brüllen, wenn man ihnen den Saft nimmt? Wie die Säuglinge, denen die Mutter die Brust entzieht.»
     
    Hella hockte unter dem Tisch und konnte trotz ihres Kummers ein Kichern nicht unterdrücken. Wie hatte ihre Mutter gesagt? «Wie die Säuglinge, denen die Mutter die Brust entzieht.»
    Hella war mehr als überrascht gewesen, als sie auf einmal Gustelies’ neugieriges Gesicht im Türrahmen des Roten Ochsen auftauchen sah. Blitzschnell war sie unter den Tisch gerutscht, denn das Letzte, was sie jetzt wollte, war von ihrer Mutter hier erwischt zu werden. Zwar hatte sie ursprünglich bei ihr Unterschlupf suchen und sich bei ihr ausweinen wollen, doch inzwischen war Hella ein wenig ruhigergeworden und hatte eingesehen, dass Gustelies bei Eheproblemen womöglich doch nicht die beste Beichtmutter war.
    «Wo ist der verdammte Schlüssel? Der muss doch hier sein!»
    «Was weiß denn ich, Schorsch, wo du den Schlüssel hast. Normalerweise hütest du ihn, als wäre er der Heilige Gral, nimmst ihn nicht einmal nachts vom Hals.» Isolde spülte ungerührt die Weinbecher und Bierhumpen aus. Schorsch, ihr Ehemann und der Gastwirt des Ochsen, lief in der Schankstube herum. Er hob jeden Tisch und jede Bank an und schaute darunter. Sogar die Asche im Kamin rührte er mit der Schuhspitze um. «Wo ist der Schlüssel?»
    Jedes Mal, wenn er diese Frage wiederholte, wurde seine Stimme drohender. Er stieß gegen die Töpfe und Pfannen, die Kessel und Tiegel, die ordentlich in der Küche aufgestapelt waren, brachte die Vorratskammer durcheinander, wühlte im Eierkorb, ließ die Sahnetöpfe ohne Deckel stehen, stocherte sogar mit dem Finger im Honigglas. Vergeblich.
    «Johann!», brüllte er schließlich so laut, dass die Gäste, die sich bereits schlafen gelegt hatten, in die Höhe fuhren. «Johann, wo steckst du nur?»
    «Hier, Herr!» Der junge Mann, der Hellas Gepäck auf ihr Zimmer gebracht hatte, stürzte die Stiege hinab. Hella war derweil unter dem Tisch hervorgekrochen und stand nun an der Treppe, eine Hand auf dem Geländer.
    «Wo ist der Schlüssel zum Weinkeller?»
    «Ich weiß es nicht, Herr.»
    «Warst du nicht unten und hast eine Kanne Roten geholt?»
    Johann schüttelte den Kopf. «Wie denn das, Herr? Ichwar noch nie in Eurem Weinkeller. Ihr bewacht ihn, als wäre dort ein Schatz versteckt.»
    Der Wirt brummte, dann begann er erneut mit seiner Suche. «Weib, schütte das Wasser aus. Ich will sehen, was in der Schüssel ist.»
    Er wartete nicht, bis seine Frau tat, was er wollte, sondern riss ihr die Schüssel aus der Hand, trat vor die Tür und schüttete das Abwaschwasser in einem Schwall über die Straße. Dann inspizierte er die Pfütze, in der einzelne Bröckchen aus den nicht ganz leer gegessenen Schüsseln schwammen. «Wo ist der Schlüssel hin?»
    Isolde zuckte erneut mit den Achseln. «Such morgen weiter, Schorsch. Jetzt ist es dunkel. Du siehst gar nicht, was in den Ecken ist. Außerdem wollen die Gäste

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