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Höllenknecht

Höllenknecht

Titel: Höllenknecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Hast du noch nie einen Mann gesehen, der einen Becher Wein über den Durst getrunken hat und mitten in der Nacht von einem Büttel geweckt wurde?»
    «Nein   … äh   … doch   … äh.»
    «Na also, jetzt lass uns gehen und erzähl mir unterwegs, was geschehen ist. Aber möglichst genau.»
    Heinz Blettner riss die Haustür auf, reckte die Arme in die Höhe und atmete ganz tief die frische, saubere Nachtluft ein. An den Blättern der alten Buche hingen noch einzelne Tropfen, Überreste des Gewitters. Auch das Pflaster war noch nass, und Heinz schien es, als ob es dampfte.
    «Wo müssen wir hin?», fragte er den Büttel.
    «In die Judengasse, Herr.»
    Sie gingen nebeneinander durch die nachtstille Predigergasse. Nur wenige Häuser standen hier, die meisten zweistöckig. Aus einem Haus hörten sie einen Säugling weinen. Von woanders tönten rasselnde Schnarchlaute durch ein geöffnetes Fenster. Eine Katze schrie, und vor Heinz’ Füßen huschte eine Ratte entlang.
    Sie kamen zum Mönchsturm und bogen in die Judengasse direkt hinter dem Dominikanerkloster ein.
    Die Judengasse, eine wahrhaft schmale Straße, war so eng, dass die Sonne dort beinahe niemals bis auf die Erde traf. Am Anfang der Straße befand sich ein großes Eisentor, das bei Schließung der Stadttore versperrt und am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang wieder geöffnet wurde.
    Die Judengasse war dicht bebaut. Da ihre Ausdehnung begrenzt war und keine neuen Bauten dazukommen durften, schichteten die Bewohner ein Stockwerk nach dem anderen auf ihre Häuser. Jedes Haus trug einen Namen. So gab es zum Beispiel das Haus zum goldenen Schwan, das ein Geldwechsler bewohnte, der Josef zum goldenen Schwan genannt wurde. Von ihm hieß es, dass er nicht nur mit den Augsburger Kaufleuten Fugger, sondern sogar mit dem Landgrafen von Hessen, Philipp dem Großmütigen, Geschäfte machte. In der Gasse befanden sich neben den Wohnhäusern auch eine Schule, ein Badehaus, Mikwe genannt, und natürlich die Synagoge. Die meisten Männer, die in der Judengasse lebten, trugen lange Bärte und Schläfenlocken, dazu waren sie schwarz gekleidet. Den verheirateten Frauen war es verboten, ihr Haar zu zeigen, deshalb versteckten sie es unter Tüchern und Hauben. Heiraten durften die Frankfurter Juden nur untereinander. Ihren Lebensunterhalt verdienten sie mit Geldwechselgeschäften, aber auch mit dem Sammeln von Lumpen, als Trödler,Kesselflicker und Pferdehändler. Auch einen Medicus hatte die Judengasse und einen Advokaten.
    Jetzt, zwei Stunden nach Mitternacht, lag die Gasse so still wie alle anderen in der Stadt. Die Gewitterwolken hatten sich verzogen, sodass der Mond wieder sein kaltes Licht über die Dächer gießen konnte.
    Gleich hinter dem Tor zur Judengasse wartete schon der Henker, der ihnen mit einem Schlüssel das Tor öffnete. «Was gibt es?», flüsterte der Richter, um die Schlafenden hinter den offenen Fenstern nicht zu wecken.
    «Der Kopf», erwiderte der wortkarge Scharfrichter und spuckte auf den Boden.
    «Aha», erwiderte Heinz. «Wer hat ihn gefunden?»
    Der Henker wies mit dem Daumen auf einen Mann in schwarzer Kluft mit gebeugten Schultern.
    Richter Blettner ging auf ihn zu und stellte sich vor. «Erzählt mir, was geschehen ist. Und wer Ihr seid.»
    «Ich bin Rebbe Schlomo. Manchmal treibt es mich nachts in die Synagoge. Nur dort finde ich Ruhe.»
    Richter Blettner nickte. In dieser engen Gasse wohnten so viele Menschen. Bisweilen musste der Lärm unerträglich sein.
    «Vor der Mikwe balgten sich zwei Hunde.»
    Aus dem Augenwinkel sah Heinz den verständnislosen Blick des Büttels. «Die Mikwe ist das Badehaus der Juden», murmelte er. Dann lächelte er dem Rebbe zu. «Ihr saht die beiden Hunde. Und dann?»
    «Dann ging ich hin. Und sah   … sah   …»
    Richter Blettner bemerkte, dass der alte Mann zitterte. Er legte ihm eine Hand auf die Schulter. «Ich weiß, was Ihr dort saht. Wie ging es weiter?»
    «Ich lief zum Tor und wartete, bis der Nachtwächterdraußen vorüberging. Ihm sagte ich Bescheid. Ach so, den Kopf habe ich vorher an den Haaren gepackt und auf ein Fensterbrett gelegt, sodass die Hunde nicht mehr dran konnten.»
    Der Richter schluckte. Vor seinem geistigen Auge tauchte Hella auf, die arglos ein Fenster öffnete und plötzlich einen Kopf ohne Leib vor sich sah.
    «Wer wohnt dort?», fragte er besorgt.
    «Die greise Rachel. Sie ist blind. Der Kopf kann sie nicht erschrecken», erwiderte der Rebbe und lachte unfroh.
    «Jetzt zeigt mir

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