Höllenknecht
schlafen.» Sie nahm ihn beim Arm und wollte hin wegführen, doch er riss sich los. «Was sagst du da, Weib? Hörst du nicht? Der Schlüssel zum Weinkeller ist verschwunden! Ich gehe nicht eher ins Bett, als bis ich ihn wiederhabe.»
Wieder zuckte Isolde mit den Achseln und ließ ihren Mann gewähren, der sofort in die Schankstube stürzte, die Schlafenden weckte, indem er an ihren Decken zerrte und sie zum Aufstehen zwang.
Einer ist wie der andere, dachte Hella, dann stieg sie die Treppe hoch, und bedauerte die, die gerade aus dem ersten Schlaf hochgefahren waren.
Später lag sie lange wach. Bei jeder Bewegung raschelte der Strohsack. Drehte sich Hella gar, begann auch noch das Bett zu knarren. Die hölzernen Läden klapperten im Wind und raubten ihr den Schlaf. Seufzend stand sie auf, öffnete die Fenster und atmete tief ein und aus. Sie sah zum Himmel hinauf. Weder Mond noch Sterne waren zu sehen, dafür dunkle Wolkenberge. Wind war aufgekommen,trieb den Staub durch die trockenen Gassen, bog die Blätter auf den Fensterbeeten. Das Schild mit der Aufschrift «Gasthaus zum Roten Ochsen» ächzte zuerst leise, dann mit jedem Windstoß ein wenig lauter. Hella hielt ihr heißes Gesicht in den Wind. Seit Tagen lechzte sie nach Abkühlung. Ob heute endlich der ersehnte Regen kommen würde?
Weit draußen über dem Taunus, zerriss ein Blitz die Wolken. Hella schrak zurück. Gleich darauf erklang ein dumpfer, grollender Donner, der sie an einen wütenden Bären erinnerte. Sogleich trat sie vom Fenster weg. Ihre Mutter hatte früher oft gesagt, dass Gott diejenigen mit Blitzschlag strafe, die anderen ein Übel angetan hatten. «Hoffentlich wird Felicitas von Brasch vom Blitz getroffen», murmelte sie vor sich hin. Doch dann bekreuzigte sie sich. «Nein, es ist unrecht, anderen Schlechtes zu wünschen.»
Sie ließ den Klappladen offen und kroch zurück ins Bett. Wenig später lauschte sie dem prasselnden Regen, auf der Seite liegend und eine Hand unter das Gesicht geschmiegt.
Als sie am nächsten Morgen erwachte, dampfte die ganze Stadt. Die Sonne stand am Himmel, als wäre nichts geschehen, doch in den Gassen standen noch vereinzelte Pfützen. Die Mägde, die mit ihren Eimern zum Brunnen gingen, wichen ihnen aus, so gut es ging. Ein Lehrjunge in Holzpantinen latschte quer hindurch und ließ den Matsch spritzen. Vom Fenster aus sah Hella genau, wie der auf den Rocksaum einer Handwerkerin landete. Empört beschwerte die sich lautstark und gab dem Lümmel eine kräftige Maulschelle. Dieser heulte auf und machte sich davon. Hella lächelte. Auch wenn die Handwerkerin das sicher anders sah, ihr schien es, als hätte der Regen allen Unrat und selbst die schlechten Gerüche fortgeschwemmt. Die Leuteauf der Gasse wirkten so ausgeruht und frisch, wie sie sich fühlte.
Quietschend öffnete sich neben ihr ein Holzladen. Isolde legte Federbetten zum Lüften aufs Fensterbrett. «Habt Ihr gut geschlafen?» Die Wirtin lächelte.
Hella nickte. Nun ging auch gegenüber ein Fenster auf, ein dickes Kissen erschien, darüber eine rotgesichtige Frau mit beachtlichem Busen. «Grüß Gott, Frau Nachbarin», schallte die laute Stimme herüber. «Na, da hat Gott der Stadt ja in der letzten Nacht ordentlich gezürnt. Ein Donner nach dem anderen, herrjemine! Der Meine saß aufrecht im Bett vor Schreck. Wenn Ihr mich fragt, hat das was mit dem Menschenfresser zu tun.»
«Aber Euch fragt keiner», murmelte Isolde so leise, dass Hella es gerade noch verstehen konnte.
«Was», kreischte die Nachbarin, «was habt Ihr gesagt?»
«Dasselbe habe ich auch gesagt», rief die Wirtin zur anderen Straßenseite hinüber und gab Hella mit einem Blick zu verstehen, dass sie Unterhaltungen mit der dicken Nachbarin nicht besonders schätzte. «Jetzt muss ich das Frühstück für die Gäste richten.»
Sie drehte sich zu ihrem Gast. «Ihr kommt doch auch, nicht wahr?»
Hella nickte, grüßte die Nachbarin und schloss das Fenster.
Eine Viertelstunde später saß sie auf einer der Bänke, vor sich eine Schüssel mit Buchweizengrütze. In der Mitte des Tisches standen das Fässchen mit Butter und der Topf mit dem Honig. Hella gegenüber saß eine dürre junge Frau, die sich als Silberschmiedin aus Leipzig vorgestellt hatte. Sie hoffte, ihre Waren an französische Messegäste verkaufen zu können. Hella hatte leise Zweifel, ob ihr das gelingenwürde. Nicht mit so einem mürrischen Gesicht, dachte sie. Wer verkaufen will, muss freundlich sein. Besonders während
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