Höllenknecht
ihr lange in die Augen.
«Ich freue mich sehr, Euch zu sehen», sagte er leise, aber nicht so leise, dass der Richter es nicht hören konnte.
«Möchtet Ihr Platz nehmen?»
Gustelies atmete tief ein und aus, dann schüttelte sie den Kopf. «Nein. Nein, ich muss zurück ins Pfarrhaus. Der Junge. Ihr wisst schon. Der Josef. Ich kann ihn nicht so lange mit Pater Nau allein lassen. Erst, wenn er schläft.»
Bei den letzten Worten sah sie Arvaelo an. Ganz tief drang ihr Blick und wurde erwidert.
«Dann hoffe ich, der Junge geht nicht zu spät zur Ruhe», sagte der Sarazene leise.
«Punkt acht Uhr verschließe ich seine Kammertür.»
Gustelies winkte ihrem Schwiegersohn einen Gruß zu, gab der Magd Anweisungen, wie sie das Essen zu wärmen hatte, und ging davon. Erst als sie bereits in der Töngesgasse war, fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, nach ihrer Tochter zu fragen. Vielleicht, dachte sie nun, ist es nicht das Schlechteste, wenn Hella nichts von meinen Gefühlen für Arvaelo ahnt.
Als sie gegangen war, setzte der Richter das Gespräch fort. «Glaubst du an Geheimbünde?», fragte er.
Der Mann aus Samarra nickte. «Natürlich. Geheimbünde gibt es, seit die Welt geschaffen wurde. Überall. Hast du noch nie davon gehört?»
«Doch, doch. Ketzer, Ketzer allesamt. Aber bei euch? Ich meine, in Persien? Gibt es da keine?»
«Hm.» Arvaelo wirkte zum ersten Mal, seit Heinz ihnkannte, unsicher. «Es … es gibt die Assassinen. Vielmehr, die gab es. Bis vor dreihundert Jahren etwa. Ein politischer Geheimbund, der Gegner mit dem Dolch tötete. Besonders aktiv waren sie in Persien. Auch in meiner Heimatstadt. Um ihre Ziele zu erreichen, schickten sie ihre Attentäter überallhin. Und die fürchteten nichts. Noch nicht einmal den eigenen Tod. Dabei ging es um nichts Großes. Nur um Macht. Und Landbesitz.» Arvaelo verstummte.
«Und weiter?»
«Nichts weiter. Nach den Kreuzzügen hat man nichts mehr von ihnen gehört. Sie haben sich zerstreut. Heißt es.»
«Was meinst du? Was für Leute sind Mitglied in einem Geheimbund, der sich mit Zauberei befasst?»
«Reiche Leute.» Arvaelos Antwort kam prompt.
«Wie kommst du darauf?»
«Arme Leute haben keine Zeit für solche Dinge. Arme Leute können oft nicht lesen. Und die Gerätschaften zum Goldmachen, die könnten sie sich nicht leisten. Selbst wenn sie es wollten.»
«Das überzeugt», meinte Heinz und versank ins Nachdenken.
Die Leute drängten sich vor der Kirche, als stünde der Gottesdienst kurz bevor. Zuerst waren es nur zwei Frauen, davon eine im Witwenkleid. Dann kam eine weitere und zündete vor der Statue der Muttergottes eine Kerze an. Eine vierte gesellte sich dazu, dann eine junge Frau mit einem Säugling auf dem Arm. Zwei Arbeiter auf dem Weg nach Hause blieben stehen, ein Lehrjunge und zwei Wäscherinnen, danach fanden sich noch ein paar Gesellen ein, Tagelöhner, Mägde, zwei Mönche und eine Nonne, eine Bettlerin und schließlich eine Hure. Sie alle standenabwartend vor dem Pfarrhaus. Dort, hinter dem kleinen Fenster, war sonst der Platz von Pater Nau, wenn er mit einem der ihm anvertrauten Schäfchen einmal unter vier Augen sprechen wollte. Die meisten, die hier standen, kannten das kleine Zimmer. Es war mit dunklem Holz getäfelt, und das ganze Jahr duftete es dort nach Weihrauch. Ein paar harte Stühle standen um den dunklen Tisch, darauf ein eiserner Leuchter mit drei Armen. In diesem dunklen Gemach war das Geheimnis zu Hause. Licht störte hier nur. Die Leute sollten sich geborgen fühlen. Geschützt. Sicher. Deshalb zierten die Wände auch Teppiche mit Szenen aus der Bibel. Der gute Hirte war im flackernden Kerzenschimmer zu erkennen, die Szene, in der Maria Magdalena am Ostermorgen dem auferstandenen Herrn begegnete, und der verlorene Sohn, den sein Vater wieder aufnahm. Auf einem kleinen Altar stand eine Marienstatue. Das wussten die Leute vor dem Pfarrhaus. Aber sehen konnten sie heute nichts von alledem. Der Fensterladen war fest verschlossen und bot den neugierigen Augen auch nicht die kleinste Ritze.
«Hat es schon angefangen?», fragte eine Handwerkerin, die gerade dazugekommen war und ihre alte, blinde Mutter am Arm führte.
Zwei andere Frauen schüttelten den Kopf.
Eine beugte sich nach vorn und berichtete: «Schwefel habe ich gerochen, als ich gestern hier vorüberging. Schwefel. Ich schwöre es, bei allem, was mir heilig ist.»
Einige Umstehende nickten. «So ist das», bestätigten sie. «Dort, wo der Teufel sein
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