Höllenknecht
der Rumpf echt ist oder nicht», erklärte der Richter, als wäre dies die normalste Sache der Welt.
«Wie bitte?» Krafft von Elckershausen sah seinen Richter an, als hätte dieser endgültig den Verstand verloren.
«Der Junge denkt anders als wir. Er hat von seiner Mutter gelernt, dass man durch Hineinbeißen Echtes von Falschem unterscheiden kann. Als er den Rumpf fand, wusste er nicht, ob der ein echter Mensch war oder nicht. Also tat er das, was er gelernt hat. Er biss hinein.»
Pater Nau schlug sich mit der Hand vor die Stirn. «Natürlich. So war das. Ich habe ja gleich gesagt, dass der Junge kein Menschenfresser ist.»
«Hmm», brummte der Schultheiß und beugte sich über den Tisch zu dem Jungen. «Kannst du dich noch an den Mann ohne Kopf erinnern?», fragte er.
Der Junge nickte und verzog weinerlich das Gesicht. Gustelies zog ihn an sich. «Nun lasst ihn doch. Er hat weiß Gott genug mitgemacht.»
«War der Mann echt?»
Josef schüttelte heftig den Kopf, hörte gar nicht wieder auf damit. «Nicht echt. Josef weint und schreit.»
Einen Augenblick lang herrschte Stille im Raum. Schließlich erhob sich Gustelies und sagte mit Nachdruck: «Wir hatten alle einen mühevollen Tag heute. Das beste Mittel, um sich morgen wieder wie neugeboren zu fühlen, ist eine kräftige Mahlzeit. Es gibt Pfannkuchen mit sauren Äpfeln. Wer möchte, ist herzlich eingeladen.»
«Da komme ich gerade richtig», ertönte eine Stimme von der Tür her. Niemand hatte bemerkt, dass auch Bruder Göck im Exorzismuszimmer erschienen war.
Heinz lachte auf, wandte sich an den Schultheiß: «Wenn Ihr Wert auf eine laute, aber lustige Mahlzeit legt, bleibt. Zieht Ihr jedoch die Ruhe vor, so rate ich Euch dringend, das Weite zu suchen.»
Der Zweite Bürgermeister erhob sich. «Ich würde liebend gern bleiben, aber mein Weib. Komme ich einmal nicht oder zu spät zum Abendessen, ist gleich die Hölle los.»
Richter Blettner sah, wie schwer es dem Schultheißen fiel, die Einladung abzulehnen.
«Begleitet mich zur Tür, Richter!»
Heinz tat, wie ihm befohlen. Er war nun wieder bester Laune, doch er bemerkte auch, dass sich das Gesicht seines Vorgesetzten wieder verdüstert hatte. «Ratsherr, ist alles in Ordnung?»
«Nichts ist in Ordnung», zischte dieser. «Eure Vorführung war zwar sehr eindrucksvoll, aber sie trägt nichts, aber auch gar nichts zur Lösung unserer Probleme bei.»
«Was soll ich machen?» Richter Blettner breitete beide Arme aus. «Wenn der Junge nun mal nicht schuldig ist, so kann ich ihn auch nicht einsperren.»
Der Schultheiß kniff die Augen zusammen. «Dann sorgt verdammt noch eins dafür, dass Ihr bald jemanden zum Einsperren habt.»
Der Richter sah unbekümmert drein. «Das wird schon werden.»
Jetzt wurde Krafft von Elckershausen wütend. Er kniff die Augen noch fester zusammen, und auf seiner Stirn schwoll eine blaue Ader an. «Schenkt Euch Eure dämlichen Sprüche, Richter. Das eine sage ich Euch nämlich. Der Erzbischof und der Erste Bürgermeister wollen einen Schuldigen, solange es keinen Täter gibt. Die Messe ist in Gefahr. Und ich, mein Lieber, werde gewiss nicht dieser Schuldige sein. Sputet Euch, hebt den Hintern und lasst Euch etwas einfallen, sonst seid Ihr die längste Zeit Richter der Stadt Frankfurt gewesen.»
Mit diesen Worten wandte er sich um und stieß dabei beinahe mit Hella zusammen. Er murmelte eine Entschuldigung und eilte mit hochrotem Kopf und wütenden Schritten davon.
Hella sah ihm nach. Aber schon zog Heinz Blettner seine Frau in die Arme und drückte sie an sich, seine Lippen auf ihrem Haar. «Da bist du ja endlich, mein Herz. Du hast mir gefehlt.»
Hella klappte den Mund auf, um etwas zu sagen, doch Heinz legte ihr den Finger auf die Lippen.
«Pscht, jetzt rede ich. Es war richtig, dass du zu deiner Mutter gezogen bist, um ihr mit dem Jungen zu helfen. Wahrscheinlich hast du dich hier auch sicherer gefühlt. Wegen des Menschenfressers meine ich. Man muss ja immerdamit rechnen, dass ich des Nachts geholt werde, und dann wärst du allein.»
Hella sagte auch jetzt nichts, sondern schmiegte sich an ihren Mann, sog seinen Duft ganz tief ein. Einen Augenblick dachte sie daran, Heinz in seinem Glauben zu lassen, doch mit einer Mutter wie Gustelies und einem Onkel wie Pater Nau waren selbst Notlügen unmöglich.
«Ich war nicht bei meiner Mutter», sagte sie leise.
«Nicht?» Heinz hielt sie an den Schultern ein Stück von sich weg. «Wo warst du dann?»
Hella schluckte.
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