Hoellennacht
entdeckte etwas auf dem Kaminsims und ging über die knarrenden Dielen dorthin. Es war ein Umschlag, und sein Name war mit leicht unregelmäßigen Buchstaben darauf getippt. Als er die Hand danach ausstreckte, hörte er oben etwas krachen und zuckte zusammen. Er lauschte aufmerksam, hörte aber nichts mehr. Leicht irritiert nahm er den Umschlag in die Hand. Etwas rutschte darin herum. Er wollte ihn gerade aufmachen, als er erneut ein Geräusch im Obergeschoss hörte, diesmal ein Kratzen, das ein oder zwei Sekunden andauerte. Er steckte den Umschlag in seine Jackentasche und ging auf Zehenspitzen zur Tür. Dort lauschte er, hörte aber nichts.
Die Treppe, die in einem Bogen nach oben führte, war aus Marmor, und er schlich sie lautlos hinauf. Er legte die Hand auf den hölzernen Pfosten des Treppengeländers und schaute mit gerecktem Hals um die Ecke. Die Wand zu seiner Linken war getäfelt, und es steckten messingne Bilderhaken darin, an denen einmal große Gemälde gehangen hatten.
Die Treppe führte auf einen Flur, der das Stockwerk der Länge nach durchmaß. Etwa alle vier Meter hing ein kleiner Kronleuchter von der Decke, eine Miniaturausgabe des Ungetüms unten in der Eingangshalle. Die linke Seite des Flurs lag oberhalb des Raums, in dem er eben gewesen war, und so ging er nach links, noch immer auf Zehenspitzen. An beiden Schmalseiten des Flurs waren Überwachungskameras angebracht und links und rechts gingen Türen ab. Vorsichtig öffnete er die erste Tür zur Linken. Das Zimmer war leer, auch hier waren die Vorhänge abgenommen worden. Er schloss die Tür leise und öffnete den Eingang gegenüber. Noch ein leeres Zimmer. Er zog die Tür zu und ging lautlos durch den Flur, lauschte aufmerksam an der nächsten Tür, bevor er die Hand auf den Messingtürgriff legte und ihn herunterdrückte. Dieses Zimmer war möbliert: Dort standen ein großes Himmelbett und ein grüner, lederner Ohrensessel. Dunkelgrüne Vorhänge waren mit Goldkordeln zusammengebunden. Das Bett war gemacht und sah nicht so aus, als hätte jemand darin geschlafen; das Bad war makellos sauber.
In weiteren neun Schlafzimmern sah er nach, die alle leer waren, dann ging er wieder nach unten. Dort lagen ein großes Esszimmer, ein Arbeitszimmer, ein weiterer Eingangsraum, eine riesige Küche, aus der alle Geräte entfernt worden waren, und eine Speisekammer mit Regalen. Selbst der Wintergarten war leer geräumt worden. Nightingale blickte nach draußen und sah über eine weite Rasenfläche auf einen See und einen Stall neben einem großen Paddock. Er schauderte. Überall im Haus waren gusseiserne Heizkörper angebracht, die Heizung lief allerdings nicht.
Er versuchte, die Tür des Wintergartens zu öffnen, aber sie war abgeschlossen, und er hatte keinen Schlüssel. Langsam ging er durch die Küche in die Haupteingangshalle zurück. Er hörte ein leises Kratzen von oben. » Wenn du nach draußen willst, bevor ich abschließe, ist jetzt die richtige Zeit«, rief er. Das Kratzen hörte sofort auf. » Dumme Katze«, brummte Nightingale leise. Er öffnete die Eingangstür und keuchte auf, als er dort zwei Männer stehen sah. Er trat einen Schritt zurück, als sie auf ihn zukamen.
Sie trugen Uniformen, wie ihm jetzt auffiel, Polizeiuniformen, und der ältere der beiden war ein Sergeant. Der jüngere packte ihn am Arm. » Was machen Sie hier?«, fragte er. Nightingale war zu überrascht, um etwas zu sagen, und schüttelte einfach nur den Kopf. Der Polizist packte ihn fester. » Na klar. Ab geht’s, ins Auto.«
» Das hier ist mein Haus«, sagte Nightingale.
Der Polizist ließ ihn los. Er war Anfang zwanzig und mager. Seine Stirn war von Aknepickeln verunziert. » Wie heißen Sie?«, fragte er.
» Jack Nightingale«, antwortete er. » Schauen Sie, ich war selber einmal Polizist, und jetzt bin ich Privatdetektiv.«
» Dann zeigen Sie mal Ihren Ausweis.«
Nightingale zog seine Brieftasche heraus, zeigte ihnen seinen Führerschein und gab ihnen eine seiner Geschäftskarten. Er klopfte sich auf die Brust und seufzte. » Sie haben mir einen Riesenschreck eingejagt«, sagte er.
» Das Haus war zugesperrt, seit der alte Gosling gestorben ist«, erklärte der Sergeant. Er hatte graues Haar und geplatzte Äderchen auf den Wangen. Eine alte Narbe unter seinem Kinn sah so aus, als hätte sie ihm jemand mit einer zerbrochenen Flasche zugefügt. » Man hat uns gesagt, das Haus werde demnächst versteigert.«
» Er hat es mir hinterlassen«, sagte
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