Hoellennacht
mehr mit ihm gesprochen.
Seine Tante nahm ab. » Tante Linda? Hier ist Jack.«
Es folgte ein Moment des Zögerns, als wüsste sie nicht recht, wer Jack war, und dann schrie sie beinahe auf: » Jack!«
» Hi, wie geht es?«
» Jack, ich freu mich so, von dir zu hören. Ist alles in Ordnung?«
» Alles bestens. Und Onkel Tommy, wie geht es ihm?« Er blickte sich beim Reden um und runzelte die Stirn, als er halb versteckt im Efeu über der Haustür eine Überwachungskamera entdeckte.
» Er ist mit dem Hund spazieren gegangen. Es wird ihm schrecklich leidtun, dass er deinen Anruf verpasst hat. Wie läuft die Arbeit? Bist du noch immer nicht verheiratet?«
» Nein, ich bin noch nicht verheiratet.« Jack lachte. » Schau mal, ich weiß, dass das so unvermittelt eine sonderbare Frage ist, aber weißt du zufällig, ob ich adoptiert worden bin?« Er entdeckte eine weitere Überwachungskamera, die an einem der Kamine angebracht war, und eine dritte auf dem Wintergarten. Es folgte ein langes Schweigen, und einen Moment lang glaubte Nightingale, die Verbindung sei abgebrochen. » Tante Linda, hast du mich verstanden?«
» Was für eine Frage, Jack. Beinahe ein Jahr lang haben wir nichts von dir gehört, und dann stellst du so eine Frage.«
» Ich weiß, es tut mir leid, aber etwas sehr Eigenartiges ist passiert. Du müsstest Bescheid wissen, oder? Du müsstest doch Bescheid wissen, wenn ich adoptiert worden wäre?«
» Jack, ich kann nicht…«
» Was kannst du nicht, Tante Linda?«
Wieder folgte ein langes Schweigen.
» Tante Linda?«
» Jack, das ist wirklich etwas, worüber du mit deinem Onkel sprechen musst.«
» Warum kannst du es mir denn nicht sagen?«
» Weil Onkel Tommy der Bruder deines Vaters ist– er ist der Blutsverwandte. Ich bin nur Tommys Frau. Du musst mit ihm sprechen.«
» Tante Linda?«
» Ich muss jetzt los, Jack. Ich sag deinem Onkel, dass er dich zurückrufen soll. Also, mach’s gut.« Sie legte auf.
Nightingale steckte das Handy ein. Sie hatte nervös geklungen, sogar verängstigt, und er hatte nie zuvor erlebt, dass seine Tante vor irgendetwas Angst hatte. Er trat zurück und musterte die Front des Hauses; dabei entdeckte er noch drei weitere Überwachungskameras. Er nahm die Schlüssel heraus, die Turtledove ihm gegeben hatte, und ging zur Tür. Dort gab es zwei Schlösser, die sich mit demselben Schlüssel öffnen ließen. Die Tür knarrte, als er sie aufmachte. Er trat in eine Eingangshalle mit holzgetäfelten Wänden und einem Marmorboden. Ein riesiger Kronleuchter hing von der Decke. Er blickte sich nach einer Alarmanlage um, sah aber keine, und es war auch kein Piepsen zu hören, das auf ein solches System hinwies. Es gab keine Möbel und auch keine Bilder oder Spiegel an den Wänden. Das Haus war leergeräumt worden, aber er konnte nicht wissen, ob da Profi-Einbrecher oder eine Räumungsfirma am Werk gewesen waren. Neben der Tür war ein Lichtschalter. Als Nightingale ihn umlegte, tat sich nichts. Er ging durch die Eingangshalle– die Sohlen seiner schwarzen Lederschuhe quietschten auf dem Marmorboden– und versuchte es mit einem anderen Lichtschalter, aber der funktionierte auch nicht.
Drei Eichentüren führten von der Eingangshalle weg. Nightingale stieß eine auf und trat in einen Raum von der Größe einer Basketballhalle mit einer gewölbten Decke und einem großen, offenen Kamin aus Marmor. Auch in diesem Raum befanden sich keine Möbel, und die Teppiche waren herausgenommen worden, so dass die Eichendielen freilagen. Stücke der Teppichunterlage klebten noch daran fest wie Hautschuppen, und am Rand entdeckte er vor den Fußbodenleisten die Metallklammern, mit denen der Teppich festgetackert gewesen war. Wer immer ihn entfernt hatte, hatte ihn einfach losgerissen.
Auf einer Seite blickte man durch eine Fensterreihe auf einen großen Ziergarten hinaus, dessen Büsche in der Form exotischer Tiere beschnitten waren. Nightingale sah eine Giraffe, einen Elefanten und mehrere Pferde, und dahinter war etwas, das wie ein Heckenlabyrinth aussah. Die Vorhänge waren abgenommen worden, aber die Vorhangstangen, an denen sie gehangen hatten, waren noch da. Nightingale runzelte die Stirn, als er in einer Ecke des Raums eine kleine Überwachungskamera entdeckte, die auf die Fenster gerichtet war. Er konnte verstehen, dass man im Außenbereich für Sicherheit sorgte, aber dass nun auch noch im Haus selbst Überwachungskameras hingen, kam ihm denn doch des Guten zu viel vor.
Er
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