Hoellennacht
aus, reckte sich und zündete sich eine Zigarette an. Seine Tante und sein Onkel hatten beide vor zwanzig Jahren mit dem Rauchen aufgehört und ließen nicht zu, dass in ihrer Nähe gequalmt wurde. Der schwarze Renault Mégane seines Onkels stand in der Einfahrt. Nightingale schloss seinen Wagen ab und ging langsam über den Gartenweg zur Haustür, wohl wissend, dass er seine Zigarette ausdrücken musste, bevor er läutete. Der Garten war gepflegt, zu beiden Seiten eines ordentlich gemähten Rasens standen zwei große Rhododendronbüsche. Außerdem war dort eine kitschige Brunnenattrappe aus Stein mit einem bärtigen Zwerg, der eine Angelrute hielt. Der Zwerg stand schon so lange dort, wie Nightingale sich erinnern konnte; als Kind hatte er immer ein bisschen Angst vor ihm gehabt und geglaubt, dass der Gnom sich bewegte, sobald er ihn aus den Augen ließ. Er schnippte ihm etwas Asche entgegen. » Beißen sie an?«, fragte er. Der Zwerg starrte auf den Haken am Ende der Angelschnur. » Vielleicht solltest du es mal anderswo versuchen.« Er warf seine Zigarette ins Blumenbeet, ging zur Haustür und streckte die Hand nach der Klingel aus.
Dann hörte er hinter sich etwas rascheln, und plötzlich hämmerte sein Herz los, und seine Kinderängste kehrten zurück. Er fuhr herum, halb in der Erwartung, den Zwerg hinter sich stehen zu sehen, aber es war nur Walter, die Perserkatze seiner Tante. Die Katze rieb sich an seinen Waden und miaute. Nightingale bückte sich und kraulte sie hinter den Ohren. » Lange nicht gesehen, Walter«, sagte er. Die Katze krümmte den Rücken und schnurrte laut.
Nightingale richtete sich auf und klingelte. Er hörte, wie die Glocke im Haus anschlug. Die Katze schnurrte noch immer und strich um Nightingales Beine. » Was ist denn los, Walter? Hat dich keiner mehr lieb?«, fragte Nightingale. Nach einer halben Minute klingelte er noch einmal, aber keiner öffnete die Tür. » Wo sind sie denn, Walter?«, fragte Nightingale. » Sind sie hinten im Garten?«
Nightingale ging um die Hausecke und öffnete ein Holztor, das nach hinten führte, wo sein Onkel ein Gemüsebeet hatte und seine preisgekrönten Rosen hegte. Als Nightingale das Tor hinter sich schloss, fiel ihm ein roter Schmierer an seiner Hand auf. Er hielt sie stirnrunzelnd hoch. Es sah wie Blut aus, aber er hatte keine Wunde. Er untersuchte beide Hände und dann den Torriegel, aber es gab nur diesen einen Schmierer.
Er ging über den Gartenweg nach hinten. » Onkel Tommy?«, rief er.
Keiner antwortete. Er klopfte an die Küchentür. » Tante Linda, ich bin’s– Jack.«
Walter miaute erneut. Nightingale kniete sich hin und streichelte die Katze im Nacken. » Was ist hier eigentlich los, Walter?«, fragte er. Die Katze hatte einen glänzenden, roten Fleck auf der Nase. Plötzlich überkam Nightingale Panik, und sein Herz pochte laut. Er betrachtete die Küchentür. Unten war eine Katzenklappe eingelassen, durch die Walter im Haus ein und aus ging. Sie war mit roten Schmierern bedeckt.
Nightingale stand auf und hämmerte gegen die Tür. » Tante Linda! Onkel Tommy! Seid ihr da drin?« Er hielt das Ohr ans Holz, hörte aber nichts. Wieder schlug er gegen die Tür, ging dann zum Küchenfenster und stellte sich auf die Zehenspitzen, um hindurchzuspähen. Hinter der Spüle erkannte er ein nacktes Bein, einen zerbrochenen Teller und eine Blutlache. Nightingale hämmerte gegen das Fenster. » Tante Linda!«
Was sollte er tun? Er blickte sich um, sah den Geräteschuppen seines Onkels, rannte hin, riss die Tür auf und ergriff einen Spaten. Er stürzte wieder zum Haus, schlug mit dem Spaten das Fenster ein und kletterte dann nach drinnen. Seine Tante lag auf dem Küchenboden, ihr Schädel war zertrümmert, und Blut und Gehirnmasse gerannen auf dem Fliesenmusterlinoleum. Der Mund stand weit offen, und die Augen starrten mit glasigem Blick zur Decke. Nightingale wusste sofort, dass es sinnlos war, nach einem Lebenszeichen zu suchen.
Vorsichtig ging er um die Blutlache herum. Eine Mordwaffe war nicht zu sehen, und die Hintertür war abgeschlossen gewesen, was bedeutete, dass der Angreifer das Haus entweder durch den Vordereingang verlassen hatte, oder aber noch da war. Neben dem Kühlschrank stand ein Messerblock, und Nightingale zog ein großes Messer mit Holzgriff heraus. » Onkel Tommy, bist du da?«, rief er.
Er ging ins Wohnzimmer. Auf dem Couchtisch lag ungeöffnet das Sonntagsblatt News of the World, und daneben stand eine volle
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