Hoellenpforte
und sie waren gut organisiert. Lohan hatte fast ehrfurchtsvoll von seiner Organisation gesprochen, als wäre es eine Art heiliger Orden. Und doch hatten sie gerade zugegeben, dass sie mit Opium handelten! Opium war eine Droge wie Heroin. Konnte es sein, dass sie Verbrechern in die Hände gefallen war? Sie hatten Maschinengewehre und Handgranaten. Und obwohl sie ihr halfen, waren sie doch nicht gerade freundlich.
Schließlich dachte sie an den kommenden Tag und die Gefahren, die er bringen würde, wenn sie versuchte, als Junge getarnt an Bord des Kreuzfahrtschiffes zu gehen. Würde das wirklich klappen? Und wenn nicht, was würde dann mit ihr geschehen? Soweit sie wusste, wollten die Alten sie nicht töten. Pater Gregory hätte das schon für sie erledigen können, aber von ihm hatte sie erfahren, dass sie andere Pläne hatten. Aus irgendeinem Grund brauchten sie sie lebend.
Sie lag auf dem Rücken, starrte hinauf zum Oberlicht und sah zu, wie die Nacht allmählich der Morgendämmerung Platz machte. Dann schlief sie endlich, wenn auch sehr unruhig. Als sie aufwachte, war ihr Nacken verspannt, und sie fühlte sich noch elender als vor dem Schlafengehen. Ihre zwei Leibwächter waren schon wach. Sing hatte Nudeln zum Frühstück gemacht, aber sie aß kaum etwas. Heute war ihre letzte Chance. Sie wusste genau, wenn sie es heute nicht schaffte, die Stadt zu verlassen, würde sie es nie schaffen.
Die nächsten drei Stunden geschah nichts. Jet und Sing warteten schweigend und Scarlett musste feststellen, dass sie aus irgendeinem verrückten Grund versuchte, sich an ihren Text für die Schulaufführung zu erinnern. Sie wusste zwar nicht, welcher Tag es war, aber sie vermutete, dass die Aufführung in ungefähr zwei Wochen stattfinden würde. Alle Eltern würden da sein und auch einige Jungen von anderen Schulen. Sie dachte an Aidan. Während sie in diesem Lagerhaus voller Feuerwerkskörper festsaß, schien Dulwich unendlich weit entfernt. Sie fragte sich, ob sie es jemals wiedersehen würde.
Plötzlich klingelte Jets Handy. Er ließ es aufschnappen, murmelte ein paar Worte und nickte dann Sing zu, der aufstand und die Tür öffnete. Sie ging nur ein kleines Stück weit auf, gerade weit genug, dass Scarlett feststellen konnte, dass es nicht mehr regnete. Strahlender Sonnenschein fiel durch den Türspalt auf den Staub, der in der Luft des Lagerhauses tanzte. Zwei weitere Männer betraten das Lagerhaus.
Der erste von ihnen war Lohan. Er ging sofort zu Scarlett. »Bist du in Ordnung?«, fragte er.
Scarlett war erleichtert, ihn zu sehen. »Und Sie?«, antwortete sie mit einer Gegenfrage. »Was haben Sie mit dem Anhänger gemacht?«
»Der Anhänger ist auf dem Flug nach Australien. Mit etwas Glück werden die Alten ihm dahin folgen.«
»Sie glauben nicht, wie froh ich bin, dass Ihnen nichts passiert ist.«
»Und ich werde froh sein, wenn du weg bist.«
Er winkte den Mann heran, der mit ihm gekommen war. Dieser Mann war deutlich älter als die anderen, trug eine zerknitterte Strickjacke und eine Brille. Er legte den Koffer auf den Boden und öffnete ihn. Zum Vorschein kamen eine Schere, diverse Flaschen und Wattebäusche. Darunter lagen Kleidungsstücke.
Scarletts Verwandlung stand bevor.
Jet zerrte eine der Kisten heran und Scarlett setzte sich. Der ältere Mann musterte sie einen Moment lang und strich ihr mit den Fingern das Haar aus dem Gesicht. Er nickte, als gefiele ihm, was er sah. Dann griff er nach der Schere.
Scarlett würde nie vergessen, wie er ihr die Haare schnitt. Sie hätte sich selbst nicht als besonders eitel bezeichnet, aber ihr Aussehen war ihr doch einigermaßen wichtig. Es hatte etwas Brutales, wie er sie attackierte, als hätte sie nicht mehr Gefühle als ein Baum. Sie sah den langen Strähnen hinterher, die auf den Boden segelten. Natürlich wusste sie, dass es nötig war und dass ihre Haare auch schnell nachwachsen würden, aber sie fühlte sich trotzdem wie das Opfer eines Angriffs. Der Mann merkte nicht, was in ihr vorging – oder, wenn er es merkte, war es ihm egal.
Er schnitt weiter und schon bald spürte Scarlett etwas, was sie noch nie erlebt hatte: einen kalten Luftzug auf ihrer Kopfhaut. Der Mann vollendete ihre neue Frisur noch mit einer Handvoll Pomade und nahm sich dann ihr Gesicht vor. Er drehte es erst in die eine Richtung, dann in die andere, und seine Finger pressten sich gegen ihr Kinn. Seine Augen blickten vollkommen ausdruckslos. Er hatte so etwas schon viele Male gemacht. Es
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