Hoellenpforte
gekleidet wie Scarlett. Die drei warteten, während der Verkäufer ein Päckchen Tee für sie einwickelte.
Scarlett betrat den Laden. Jet und Sing folgten ihr nicht, sondern gingen einfach weiter. Gleichzeitig setzte sich der Junge in Bewegung und verschwand im Hinterzimmer des Geschäfts. Der Mann und die Frau blieben genau dort stehen, wo sie waren, und ließen die Lücke zwischen sich frei. Und das war es auch schon. Einen Moment später stand Scarlett zwischen den beiden. Die Frau bezahlte den Tee. Der Verkäufer gab etwas Wechselgeld heraus. Die drei verließen das Geschäft.
Eine Mutter, ein Vater und ein Sohn waren in den Laden gegangen. Eine Mutter, ein Vater und ein Sohn verließen ihn wieder. Im Hinausgehen warf Scarlett einen Blick nach oben auf die Überwachungskamera im Gang und fragte sich, ob jemand zuschaute, und wenn ja, ob derjenige womöglich etwas gesehen hatte, was sein Misstrauen weckte. Aber eigentlich war sie ganz zuversichtlich. Sie war nicht länger allein, sondern Teil einer Familie. Sie würden in Hunderten oder Tausenden von Touristen untertauchen, die alle auf die Jade Emperor zurückkehrten. Diesen Trick würden nicht einmal die Alten durchschauen.
Die Familie verließ die Hafencity durch gigantische Glastüren, die direkt auf den Übersee-Anleger mündeten. Und da lag das Schiff, mit Seilen am Kai vertäut, die so dick waren wie Baumstämme. Die Jade Emperor war riesig und hatte mindestens ein Dutzend Stockwerke. Auf dem obersten Deck befanden sich zwei rauchende Schornsteine. Die untere Hälfte des Schiffes war von einer Reihe winzig aussehender Bullaugen durchlöchert, aber weiter oben gab es große Fenster, die vermutlich zu den Luxuskabinen der Multimillionäre gehörten. Abgesehen von den leuchtend grünen Schornsteinen war die Jade Emperor komplett weiß. Die Mitglieder der Besatzung, ebenfalls in makelloses Weiß gekleidet, eilten durch die Korridore, wischten die Decks und polierten die Messingteile, als wäre es von entscheidender Bedeutung, dass das Schiff vor dem Auslaufen glänzte.
Scarlett sah sich unauffällig um. Das Schiff lag links von ihr und versperrte den Blick hinüber nach Hongkong. Eine einzelne Gangway führte an Bord. Rechts von ihr erstreckte sich ein zweistöckiges, mit Fähnchen geschmücktes Gebäude über die ganze Länge des Kais. Es war die Rückseite der Hafencity, des Einkaufszentrums, aus dem sie gerade gekommen waren. Dazwischen war ein etwa zehn Meter breiter Betonstreifen, auf dem man zum Schiff gelangte.
Der Weg dorthin war durch eine Reihe von Metallzäunen versperrt, die die Passagiere zwangen, vor einem Kontrollpunkt Schlange zu stehen, an dem ein halbes Dutzend Männer in Uniform Pässe und Bordkarten überprüfte. Die Sonne war mittlerweile fast untergegangen, und obwohl sie das Wasser noch zum Funkeln brachte, lag der Weg zum Schiff bereits im Schatten. Jetzt kam es darauf an. Fünf Minuten und vielleicht fünfzig Schritte trennten Scarlett noch von der Freiheit. Sobald sie an Bord der Jade Emperor war, hatte sie es geschafft. Matt erwartete sie. Endlich hatte sie Hilfe. Sie würde die Segel setzen und Hongkong nie wiedersehen.
Mrs Soong, die Frau, die sich als Scarletts Mutter ausgab, sagte etwas und griff nach ihrer Hand. Scarlett nahm sie und sie gingen auf die Kontrolle zu. Niemand hielt sie auf. Niemand sah auch nur in ihre Richtung. Sie kamen an einem Restaurant mit einer großen Glasfront vorbei. Auch draußen standen Tische unter Sonnenschirmen. Zum Mittagessen war es längst zu spät, aber zum Abendessen noch zu früh, deshalb waren die meisten Tische leer. Im Vorbeigehen fiel Scarletts Blick jedoch auf einen Mann mit grauen Haaren und einer Brille, der an einem Glas Bier nippte. Er war zum Teil durch das Fenster verdeckt, aber etwas an ihm kam ihr bekannt vor, die Art, wie er dasaß, sogar die Art, wie er sein Glas hielt. Sie blieb wie angewurzelt stehen.
Es war Paul Adams.
Wäre sie nicht so abrupt stehen geblieben, hätte er sie wohl nicht bemerkt. Aber jetzt schaute er auf und starrte sie an. Selbst da hätte er sie vermutlich nicht erkannt. Doch sie hatten sich in die Augen gesehen. Und das hatte gereicht. Trotz der Brille, der Kontaktlinsen, der ungewohnten Kleidung und der kurzen Haare hatten sie Verbindung zueinander aufgenommen.
Scarlett war unheimlich froh, ihn zu sehen. Die ganze letzte Woche hatte sie sich Sorgen um ihn gemacht und nicht gewusst, ob er noch lebte. Sie hatte den Gedanken gehasst, sich aus
Weitere Kostenlose Bücher