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Höllentage auf See: In den Händen von somalischen Piraten - gerettet von Navy Seals (German Edition)

Höllentage auf See: In den Händen von somalischen Piraten - gerettet von Navy Seals (German Edition)

Titel: Höllentage auf See: In den Händen von somalischen Piraten - gerettet von Navy Seals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Captain Richard Phillips , Stephan Talty
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zum Kapitän hatte ich genügend Gelegenheit gehabt, zu beobachten und zu lernen, wie man das macht. Und wie man es nicht machen sollte.
    Die erste Lektion erhielt ich von einer wahren Legende der Handelsschifffahrt, einem gewissen Dewey Boland. Lernmaterial Nummer eins: Wie man ein Schiff nicht befehligen sollte.
    Dewey war ein hochgewachsener, magerer Mann in den Sechzigern, ein Pferdezüchter aus Idaho. Der Himmel mochte wissen, weshalb er überhaupt zur See gegangen war. In der gesamten Handelsmarine war er berüchtigt und gefürchtet. In einer der Union Halls, in denen die Heuerverträge vermittelt wurden, habe ich einmal selbst miterlebt, wie schlecht sein Ruf war. Als ein tolles Angebot für einen Job auf einem Schiff hereinkam, interessierte sich ein Seemann dafür und warf seine Karte auf den Tresen. »Sieht gut aus. Wer ist der Kapitän?« Als der Bursche die Antwort hörte – »Dewey Boland« – nahm er sofort seine Karte wieder an sich. »Nein danke.«
    Dewey nannte niemanden beim Namen, sondern redete alle nur nach ihrer Funktion auf dem Schiff an. »Hey, Dritter«, schrie er, wenn er den Dritten Offizier meinte. Das war seine Methode, die Leute klein zu halten. Ich war mal Dritter Offizier auf einem seiner Schiffe. Dewey hatte mich von Anfang an auf dem Kieker, weil ich Absolvent der Massachusetts Maritime Academy war, während sein Sohn gerade von der Federal Academy geflogen war – vermutlich deshalb, weil er sich als genaue Kopie seines Vaters erwiesen hatte.
    Jeden Mittag um Schlag 12.00 Uhr musste ich die Position des Schiffs, die Durchschnittsgeschwindigkeit und den Treibstoffverbrauch auf den sogenannten »noontime slips« notieren. Je nachdem, wie man die Berechnungen anstellte, konnten sich manchmal Differenzen von ein paar Meilen ergeben. Also nahm ich meine Bücher und Tabellen und den Rechner und stellte die Berechnungen an. Und um 13.00 Uhr kam dann Dewey auf die Brücke, um seine eigenen Berechnungen mit meinen zu vergleichen. Die stellte er mit Hilfe eines normalen Zirkels an, eines dieser zweibeinigen Dinger, die man vom Geometrieunterricht in der Schule kennt. Den Zirkel ließ er in rasender Geschwindigkeit über die Karte marschieren – nach drei Sekunden hatte er sein Ergebnis. Wen interessierte es schon, dass es hinten und vorne nicht stimmte?
    »Hey, Dritter, welche Daten haben Sie?«
    »Cap, ich habe 394 Meilen.« Gemeint war die Entfernung seit unserer letzten Positionsmessung.
    Woraufhin Dewey jedes Mal explodierte. Jedes Mal.
    »Jesses, Dritter, was redest du da? Ich komme auf 396!«
    Zwei Meilen Differenz sind nach nautischen Begriffen buchstäblich Peanuts. Aber Dewey explodierte aus Prinzip, auch wenn es gar keinen Grund dafür gab. Er wollte uns Männern das Leben zur Hölle machen, und zwar nicht deshalb, weil wir das Schiff in Gefahr gebracht oder gegen die Hafenmauer gesetzt hätten, sondern einfach nur so. Damals war ich fast soweit, dass ich lieber wieder Taxis gefahren hätte. Bei der Kriegsmarine konnte man sich vielleicht mit einem Captain Queeg arrangieren, dem tyrannischen Kapitän in Herman Wouks Roman Die Caine war ihr Schicksal , aber auf einem Handelsschiff ist so etwas nicht möglich.
    Von Dewey lernte ich, meine Energie nicht mit Herumbrüllen zu verschwenden. Einer meiner Ersten Offiziere sagte mir sogar einmal, ich spräche zu leise. »Ein Cap muss unbedingt öfter brüllen«, riet er mir. Ich gab ihm die Antwort, die ich bei solchen Gelegenheiten regelmäßig gab: »Wenn ich wirklich sehr leise rede, sollten die Leute anfangen, sich Sorgen zu machen.« Und das stimmte auch.
    Von furchtbaren Kapitän lernte ich genau so viel wie von guten. Ich hatte Kapitäne, die den ganzen Tag in ihrer Kabine blieben und sich ständig Filme wie Der Große Frust ( The Big Chill ) reinzogen. Ich habe Kapitäne im Unterleib des Schiffes aufgespürt, wo sie sich versteckten und heulten, weil sie sich von der Besatzung nicht geliebt fühlten. Und ich habe Kapitäne erlebt, die lieber direkt in einen Taifun steuerten und das Schiff beinahe zum Kentern brachten, als eine Rüge von der Reederei einzustecken, weil das Schiff mit einem Tag Verspätung in den Hafen kam.
    Genau das war mir mal auf einem Dampfer passiert. Wir kamen von Yokohama und gerieten in Wellen von über zehn Metern, die mit 40 Meilen pro Stunde heranrollten. Sie versetzten uns in eine der hochgefährlichen Rollschwingungen, die entstehen können, wenn die eigene Rollbewegung des Schiffs durch die

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