Höllentage auf See: In den Händen von somalischen Piraten - gerettet von Navy Seals (German Edition)
wie die Information über Funk weitergegeben wurde.
Dann fing ich an, die Piraten ein wenig zu scheuchen. Als Kapitän, kann man alte Gewohnheiten kaum ablegen. Außerdem wollte ich sie beschäftigen, damit sie nicht merkten, was meine Männer gerade trieben.
»Okay«, schnauzte ich Musso an, »kommen Sie hier rüber. Sie übernehmen den Motorblock. Achten Sie darauf, dass Sie nicht die Schraube beschädigen, wenn wir uns aus der Aufhängung lösen. Sie« – ich zeigte auf Young Guy – »klettern in das Boot. Sie sind das Gegengewicht. Sie halten die Schraube oben, so dass der Antrieb nicht herunterfällt und sich verhakt. Und Sie« – Tall Guy – »können da drüben mithelfen.«
Tall Guy sprach über Funk mit dem Leitenden Ingenieur. Sie waren inzwischen fast schon Kumpel.
»Chief, was ist denn mit dem Schiff los?«
»Schiff ist tabu, Pirat«, sagte Mike.
»Chief, warum du so ein Problem?« Und die Piraten fingen an zu lachen.
»Hallo, mein Freund«, rief ich. »Beweg deinen Arsch hier rüber und fass mit an, sonst kommen wir hier nie weg.«
Das hatte Shane offenbar gehört.
»Das ist mein Captain«, sagte er, so laut, dass ich ihn hören konnte, und lachte dabei. »Jetzt kommandiert er die Piraten herum.«
Es war surreal. Die Stimmung war regelrecht gesellig geworden. Plötzlich waren wir einfach ein Haufen Männer, die sich bemühten, ihren Job zu erledigen, und sich dabei köstlich amüsierten. Ein paar Minuten lang waren die Piraten und die Besatzung keine Feinde mehr. Das sollte nicht lange anhalten.
Nach 40 Minuten hatten wir endlich Strom am Bootskran. Ich fierte das Boot über die Bordwand.
»Okay, alle einsteigen«, sagte ich. »Klettert in das Boot, ich komme nach.«
In diesem Moment schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Die Notentriegelung. Das MOB verfügte mittschiffs über einen Entriegelungsmechanismus, der sich ungefähr in Schulterhöhe befand. Es bestand aus einem Verriegelungshaken und einem Hebel. Wenn man den Haken zog und den Hebel nach unten drückte, löste sich das Boot aus der Halterung und fiel zwölf Meter in die Tiefe. Der Mechanismus konnte sehr nützlich sein, wenn man schnell das Schiff verlassen musste, etwa bei einem Feuer an Deck oder wenn das Schiff jeden Moment zu kentern und einen auf den Meeresboden zu ziehen drohte.
Das Problem war, dass ich im Boot sein musste, um den Haken zu lösen. Vom Deck der Maersk Alabama aus ging das nicht. Also hätte ich den Haken lösen, den Hebel drücken und im selben Moment die Halterung packen müssen. Dann wäre ich an der Seite des Schiffes getaumelt, während die Somalis ins Wasser gefallen wären. Vermutlich hätten sie sich dabei die Knochen gebrochen. Wasser lässt sich nicht komprimieren, es ist hart wie Beton, wenn man aus so einer Höhe aufschlägt.
Sobald das Boot in die Tiefe gestürzt wäre, hätte ich mich wieder auf das Deck schwingen können, wie Indiana Jones.
Aber wenn es mir nicht gelang, mich an der Aufhängung festzuhalten, wäre ich tot. Oder wenn sich mein Fuß in einer Leine verhakte, sobald das Boot abstürzte, wäre ich tot. Oder wenn ein Pirat den Sturz überlebte und ein paar Schüsse auf die Schweinehunde abgab, die ihn um ein Haar umgebracht hätten, wäre ich tot.
Ich traf die letzten Vorbereitungen, um das Boot zu wassern. Die Piraten nahmen ihre Plätze ein und verteilten sich auf die Bänke des Bootes. Mir blieben allenfalls noch 30 Sekunden, um mich zu entscheiden.
Kann ich schnell genug zugreifen?, überlegte ich. Ich wusste es einfach nicht. Meine Hände übten das Manöver in der Luft: Ziehen, entriegeln, zupacken. Ziehen, entriegeln, zupacken. Und das alles im Bruchteil einer Sekunde. Ich versuchte, es mir vorzustellen. Vor allem konzentrierte ich mich ganz auf diesen letzten Schritt. Rutschen meine Finger womöglich an dem Metall ab? Werde ich schon zu tief gefallen sein, um die Halterung zu erwischen?
Schließlich sagte ich mir, was soll’s. Lass mich einfach diese Jungs wieder ins Wasser bringen . Die Piraten hatten ihre Leiter verloren, als sie auf das Schiff gingen, also hatten sie keine Möglichkeit mehr, wieder auf das Schiff zu kommen. Das reichte mir.
Das war mein zweiter Fehler. In den folgenden vier Tagen führte ich mir immer wieder diesen Moment vor Augen. Ich dachte unablässig: Ich hätte diese Schurken fallen lassen sollen. Wenn ich noch eine Gelegenheit bekomme, dann lasse ich sie ohne zu zögern fallen.
In Vermont wussten sie immer noch nichts von der
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