Höllentage auf See: In den Händen von somalischen Piraten - gerettet von Navy Seals (German Edition)
Entführung. Andrea hatte sich den ganzen Dienstag mit einer Grippe herumgeplagt, die ihr schwer zu schaffen machte. Ihre Mutter bestand darauf, dass ihre Schwester Lea kam und sich um sie kümmerte. Also machte sich Lea am Mittwochmorgen bei uns zu Hause gerade für die Arbeit fertig. Es war sonnig, aber kalt, ein typischer Aprilmorgen in Vermont.
Gegen 7.30 Uhr war Lea gerade auf dem Weg zu ihrem Wagen, als bei uns das Telefon klingelte. In Somalia war es aufgrund der Zeitverschiebung von acht Stunden gerade 15.30 Uhr. Unser Nachbar Mike Willard, der in derselben Straße wohnt und als Ingenieur bei der Handelsmarine arbeitet, war am Apparat.
Andrea weiß noch gut, dass Mikes Stimme seltsam klang. »Wie hieß noch mal das Schiff von Rich?«, fragte er.
»Wieso, warum fragst du?«, sagte Andrea.
»Andrea, wie heißt das Schiff?«
»Die Maersk Alabama.«
»Ich glaube … ich glaube, sie sind eben entführt worden. Ich komme gleich rüber.«
Andrea konnte es nicht fassen. Sie geriet allerdings nicht sofort in Panik, weil sie wusste, dass immer wieder Seeleute entführt werden. Sobald das Lösegeld gezahlt ist, werden sie alle gesund und unversehrt wieder heimgeschickt. Sie rannte nach draußen, um ihre Schwester aufzuhalten, bevor sie wegfuhr. Andrea rief: »Lea, Lea. Rich ist entführt worden. Fahr nicht, fahr nicht.« Dann liefen beide ins Haus und schalteten CNN ein.
Mike rief bei der Firma an, denn er arbeitet für das gleiche Unternehmen wie ich. Sie versuchten verzweifelt herauszufinden, ob sich die ersten Meldungen bestätigten. Unterdessen lief Andrea zum Computer und tippte um 11.29 Uhr eine kurze E-Mail an mich:
Richard–
Ich habe erfahren, was los ist. Ich bin die ganze Zeit bei dir. Voll Vertrauen … liebe ich dich von ganzem Herzen.
IN LIEBE ANDREA
Die Mail sollte mich jedoch erst erreichen, als ich schon gerettet war.
Andrea ging wieder zum Fernseher, der zu diesem Zeitpunkt ihre einzige Informationsquelle war. Wie es der Zufall wollte, war ein Nachrichtenteam des Senders Fox an der Marineakademie von Massachusetts und drehte einen Beitrag über ein völlig anderes Thema. Es stellte sich heraus, dass Shane Murphys Vater Joseph dort Ausbilder war. Sobald die Meldung von der Entführung eintraf, wollten sie natürlich unbedingt mit ihm reden. Shane hatte Joseph Murphy von der Maersk Alabama aus angerufen. Joseph schilderte den Ablauf der Entführung und sagte: »Mein Sohn, der Kapitän…« Andrea wollte wissen, was mit mir passiert war. Es ließ ihr keine Ruhe, dass sie ständig von der Entführung hörte, aber keine Nachricht über mich bekam.
Im Laufe des Vormittags rief sie Dan und Mariah an, die im College waren. Sie wollte, dass sie die Neuigkeit von ihrer Mutter hörten und nicht von einem Reporter. Sie hinterließ eine Nachricht: »Ruft mich bitte zurück. Es geht um Dad – so viel ich weiß, ist alles okay, aber ich möchte, dass ihr es von mir hört.«
Andrea lief wieder zum Fernseher. Shane Murphy wurde immer noch »der Kapitän der Maersk Alabama« genannt, und sie hörte kein einziges Mal meinen Namen. Meiner Frau schien es, als hätte ich mich in Luft aufgelöst.
DREIZEHN
Tag 1, 19.00 Uhr
»Das Weiße Haus verfolgt aufmerksam die mutmaßliche Entführung eines Schiffes unter US-Flagge im Indischen Ozean und erörtert geeignete Aktionen, der Situation baldmöglichst Herr zu werden. Oberste Priorität hat dabei für uns die persönliche Sicherheit der Besatzungsmitglieder an Bord.«
Erklärung des Weißen Hauses, 8. April 2009
I ch ließ das Boot mit mir und drei Piraten darin zu Wasser. Der Bootskran setzte uns sanft ab. Ich blickte zum Schiff hoch. Plötzlich sah es aus wie ein Ozeanriese. Einfach gigantisch.
»Sie können immer noch auf das Schiff schießen«, sagte ich in das Funkgerät. »Die Männer sollen in Deckung bleiben.«
Der Treibstoff war noch an Deck. Shanes Kopf erschien über der Bordwand.
»Hallo, Cap«, rief er.
»Wir haben es fast geschafft, Shane«, sagte ich. »Lass den ersten Eimer mit Treibstoff herunter.«
Die Piraten wollten unbedingt diesen zusätzlichen Dieselvorrat. Sie würden keine Ruhe geben, bis der Treibstoff und der Anführer an Bord waren. Ich drehte mich zu Tall Guy und Musso um, die auf den Bänken saßen, die Gewehre auf dem Schoß, die Läufe auf mich gerichtet.
Ich sah hinauf zu Shane und gab ihm ein Zeichen.
Shane verschwand. Eine Minute später tauchte der erste Eimer über der Bordwand auf, und Shane ließ ihn herunter.
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