Hoellentrip
wäre Joanna neidisch gewesen. Dann würde sie ihre Schwester als fett und rechthaberisch bezeichnen, Paul als ego zen t r isch und pedantisch, die Kinder als Schreihälse und Nervensägen, das Haus...
„Paul ist bis Sonntag mit den Kindern in Melbourne bei seiner Mutter“, erklärte Barbara, „ich hab mir gewünscht, dass du mal wieder vorbeikommst!“
„Stör’ ich dich auch nicht?“
„Joanna!“, sagte Barbara und rollte die Augen. „Und jetzt komm endlich rein.
Es duftete nach ätherischen Ölen, sanfte Musikklänge durchfluteten die Räume, in denen Teppiche auf dem glänzenden Parkett lagen. An den Wänden hingen Bilder von befreundeten Aborigine-Künstlern, Joanna entdeckte drei neue Plastiken, die sie noch nicht kannte. „Ich hab’ gerade einen Tee gemacht.“
Joanna ließ sich in die tiefe Ledercouch fallen und hatte auf einmal das Gefühl, nach Hause zu kommen.
In Gegenwart ihrer Schwester wurde ihr immer besonders deutlich, wie chaotisch ihr eigenes Leben verlief. Barbara, vier Jahre älter als Joanna, hatte sich nie gegen ihre Herkunft aufgelehnt, hatte nicht versucht, in der Menge unterzutauchen, sich unsichtbar zu machen. Barbara war immer stolz gewesen, eine Aborigine zu sein. Früher, wenn sie in der Schule von anderen weißen Kindern gehänselt wurde, fühlte sie sich nie verletzt, wie Joanna sondern bemitleidete die anderen, die so kleingeistig waren. Sie hatte sich verschiedenen Aborigine-Aktivisten-Gruppen angeschlossen, war an der Universität, als sie Jura studierte, politisch aktiv, arbeitete Ende der Achtziger Jahre in der National Aboriginal Conference in Canberra im Bereich Landrechte, engagierte sich für die Rechte der Aborigines als es um die Frage Britischer Nukleartests in Australien ging. Seit acht Jahren hatte sie eine eigene Kanzlei in Brisbane. Barbara lebte in Einklang mit sich und das strahlte sie aus. Und sie? Lebte mit einem Weißen, negier te ihr Erbe, und fühlte sich ohne Wurzeln.
„W as ist passiert ?“, fragte Barbara und s tellte das Tablett auf den niedrigen Tisch vor der Couch.
Joanna seufzte. Barbara goss Tee in die Schalen und setzte sich neben sie.
„Ich werde Marc verlassen.“
40
Und dann erzählte Joanna ihrer Schwester , dass sie sich mit Marc einfach nicht mehr verbunden fühlte, dass sie nebeneinander her lebten und wie verzweifelt sie war, weil sie wusste, dass sie etwas ändern musste, aber nicht den Mut dazu hatte. Ihre Schwester hörte zu, unterbrach sie nur kurz, um eine Zwischenfrage zu stellen, bis Joanna von Max anfing.
„Wenn ich nur wüsste, was er erlebt hat. “
„Willst du mir die Bilder mal zeigen?“
„Er wurde fast von einem Truck überfahren, sagtest du?“
Joanna nickte. Barbara nahm das erste Bild in die Hand, dann das zweite mit dem Rechteck, dem braunen Oval mit den Zweien, dem Dinosaurier und den wilden Pinselstrichen.
„Und dann hat er das Wort ASH geschrieben. A-S-H.” Joanna lehnte sich zurück. Seltsam, dachte sie, hier in dieser Umgebung bei ihrer Schwester kamen ihr die Bilder gar nicht mehr so fremd und unentzifferbar vor.
„Ich habe schon öfter Kinder gehabt, die Dinosaurier gemalt haben“, fiel Joanna ein, spielte mit der Teetasse in ihrer Hand, „das Seltsame ist, sie haben sie nicht als erschreckende Monster empfunden, sondern haben sich von ihnen beschützt gefühlt.“
Barbara überlegt e . „Ja, man leiht sich die schützende, kostbare Echsenhaut. Ich träume so etwas manchmal.“ Sie tranken Tee und schwiegen. Und trotzdem empfand Joanna die Verbindung mit ihrer Schwester. Vielleicht ist so etwas tatsächlich nur zwischen Geschwistern möglich, dachte sie und betrachtete das Bild mit der unterbrochenen Linie.
„Es erinnert mich an etwas.“
„Mich auch.“ Barbara stand auf.
„Er erschrak, weil eine Krankenschwester ins Zimmer kam und wollte auf den Schrank klettern...“, erzählte Joann a . Andere Kinder hätten sich vielleicht unters Bett geflüchtet oder wären vielleicht zu ihr gekommen , aber dass ein Kind auf einen Schrank springen wollte, um sich in Sicherheit zu bringen, das hatte sie bisher noch nicht erlebt. Wortlos legte Barbara das Buch, das sie aus dem Regal genommen hatte, neben die Bilder des Jungen auf den Tisch. Auf dem Cover stand: Paintings and Dreamings – Kunst der ersten Australier. Barbara blätterte bis Joanna die Hand zwischen die Seiten schob und schlug das Buch an der Stelle auf. Eine Weile betrachteten sie die doppelseitige Abbildung. Die
Weitere Kostenlose Bücher