Hoellentrip
hinter der ein langer, neonbeleuchteter Gang begann, in dem Patienten in Bademänteln und Joggingkleidern auf Plastikstühlen schweigend saß en. Hinter der Tür mit der Aufschrift Anmeldung hörte sie Dr. Ayletts Stimme. Ohne anzuklopfen machte sie die Tür auf - und platzte in ein Gespräch zwischen Dr. Aylett und einer jungen rothaarigen Kollegin. Aylett fuhr herum . Er versuchte ein Lächeln, doch es misslang.
„Es tut mir Leid, Joanna, ich wollte es Ihnen selbst sagen, aber Sie waren nicht da. Die Polizei hat seine Identität festgestellt und seine Tante ausfindig gemacht .“
„Haben Sie ihr wenigstens gesagt, dass sie sich an mich wenden kann?“ Joanna versuchte ihren Ärger, übergangen worden zu sein, unter Kontrolle zu halten. Dr. Aylett s leeres Jungengesicht lächelte verbindlich.
„Selbstverständlich wird sie mit dem Jungen weiterhin zu einem Therapeuten gehen.“ Er warf seiner Kollegin einen entschuldigenden Blick zu. „Seien Sie doch froh, Joanna, dass ihn endlich jemand aus der Familie gefunden hat! Die Frau machte einen vertrauenswürdigen Eindruck.“
„Dann sagen Sie mir, wie sie heißt!“ beharrte sie, „ich möchte mich wenigstens von Max verabschieden.“
Er seufzte. „Joanna, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist...“
„Und warum nicht?“
Dr. Aylett und seine Kollegin tauschten rasche Blicke, die Joanna argwöhnisch machten. Wieder Dr. Aylett s bemühtes Lächeln. Er räusperte sich .
„Joanna, ich kann Ihnen nur davon abraten...“, endlich gab er sein Lächeln auf . „Ich wollte Ihnen lediglich etwas ersparen.“
„ Was wollen Sie mir ersparen ?“
„Sie hat si ch ziemlich drastisch ausgelassen“, begann Dr. Aylett sc hließlich, „über - jemanden - der ihr ins Auto gefahren ist und sie deswegen mit dem Taxi in die Klinik hatte kommen müssen...“
In dem Moment wusste Joanna Bescheid.
„Und dieser Jemand war schwarz.“
Dr. Aylett nickte erleichtert. Joanna schüttelte ungläubig den Kopf. „Auf wen wollten Sie wirklich Rücksicht nehmen? Auf mich oder auf sie ?“
„Joanna, bitte, Sie wissen doch, wie ich zu Ihnen stehe, aber...“
„Dr. Aylett “, unterbrach sie ihn ungeduldig, „mir geht es einzig und allein um den Max – sagen Sie mir bitte , wo ich ihn finde?“
Er gab sich geschlagen.
„Sie heißt Diane Holt. Adresse und Telefonnummer bekommen Sie von der Krankenhausverwaltung.“
„Danke“, sagte Joanna und ließ die beiden stehen.
56
Jetzt am Nachmittag flirrte die Luft von einem ganzen Tag Sonne. Die Farben waren ausgebleicht und selbst die Vogelstimmen, die aus den Büschen und Bäumen drangen, klangen erschöpft.
Joanna fuhr langsam an der Häuserreihe im Brisbaner Stadtteil The Valley entlang und suchte die Nummer zweiundzwanzig. Wie Dominosteine würden die aneinanderklebenden viktorianischen Holzhäuser zusammenfallen, risse man nur ein einziges von ihnen ein. Insgesamt machten die Häuser einen sehr gepflegten Eindruck, ihre Bewohner hatten die Außenfassaden frisch gestrichen und die Vorgärten üppig mit tropischen Pflanzen bepflanzt, die manchmal sogar die Hauseingänge verbargen. Bei Nummer zweiundzwanzig fehlten die bunten Blüten und Sträucher im Vorgarten . Joanna parkte am Straßenrand, stieg aus und drückte auf die Türglocke.
Die Tür öffnete sich einen Spalt.
„Was wollen Sie?“ Die dünne Stimme war misstrauisch .
„Joanna O’Reilly, wir haben telefoniert .
Kritische Blicke musterten Joanna. Als Diane Holt schließlich in einen Besuch eingewilligt hatte, rechnete sie ganz sicher nicht damit, dass die Kunsttherapeutin eine dunkelhäutige Aborigine war. Diane Holt und Joanna O’Reilly standen sich nun also gegenüber , getrennt nur durch eine dünne Holz- und eine Fliegennetztür. Was schließlich Diane Holt zu bewog, die Tür aufzumachen, wusste Joanna nicht. Diane Holt blickte rasch die Straße hoch, ließ Joanna dann eintreten und schloss schnell hinter ihr die Tür. Der Flur, war eng und kurz. Licht fiel von den zwei abgehenden Räumen und von der ins obere Stockwerk führenden schmalen Treppe. Mrs. Holt sah man noch die gutaussehende Zwanzig- und auch Dreißigjährige an, doch dann musste das Leben sie sehr enttäuscht haben. Mit jetzt Ende vierzig war sie h ager und faltig mit hängenden Mundwinkeln und einem müden, sich im Unbestimmten verlierenden Blick . Ihr ergrauendes Haar war lieblos kurz geschnitten, die blumenbedruckte Bluse altmodisch, genauso wie die hellblaue Stoffhose. Das
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