Hoellentrip
er sie früher genannt. Früher, als sie noch ein kleines Mädchen war, das ihm mit nackten Füßen und einer großen, krausköpfigen Puppe namens Tess, unter dem Arm entgegenrannte, wenn er heim kam ...
„Ja, bis dann Dad.“ Sie legte auf.
Das auch noch, dachte er. Als ob er nicht schon genug Schwierigkeiten hatte. Mit schlechtem Gewissen zwang er sich, die längst fälligen Berichte zu schreiben.
53
Am Abend ging Joanna nochmal zu Max, in der Hoffnung, mit ihm in Kontakt zu komm en. Wieder beachtete er sie zuerst kaum, starrte zum Fenster hinaus oder an die Zimmerwand. Doch als Joanna „Ash“, sagte, reagierte er und sah sie an. Langsam schob sie ihm das Bild hin das , das rote Viereck und das Kreuzchen zeigte. Sie hatte ein Stück Papier an den unteren Bildrand geklebt. Doch er reagierte nicht. Joanna musste ihre Gedanken an seine bevorstehende Entlassung wegdrängen, um ihn nicht ihre Ungeduld merken zu lassen. Er wird malen, beruhigte sie sich, er wird...
Und wirklich! Auf einmal griff er zum Pinsel, tauchte ihn in U ltramarin blau, setzte ihn unterhalb des Kreuzes auf den verlängerten Teil des Papiers auf, und malte ! Joanna starrte auf das Bild . Max hatte unter das Kreuz einen Menschen gemalt. Blau, liegend und mit langen Haaren.
Max veränderte sich. Er atmete jetzt schneller, seine Halsschlagader pochte, seine Hände zitterten und plötzlich griff er blitzschnell zum Bild, wollte es zerreißen oder wegzerren oder zerknüllen, doch Joanna war schneller, legte die Hand auf seine Hand und redete beruhigend auf ihn ein. Zuerst sah er sie mit funkelnden, zornigen Augen an, dann verkroch er sich ins Bett und zog die Decke über den Kopf. Wieder blieb Joanna bei ihm sitzen, und als sie irgendwann auf die Uhr sah, stellte sie fest, dass sie schon längst bei ihrem anderen Patienten hätte sein müssen.
Im Stationszimmer erledigte Nancy Schreibarbeiten. Sie blickte auf, als Joanna hereinkam.
„Und? Was ist mit dem Jungen?“
Joanna seufzte. „Ich muss mit der Polizei dort sprechen .“
Nancy suchte die Akte heraus und gab ihr eine Visitenkarte.
Joanna wählte und verlangte Detective Pilmer in der Polizeistation in Roma. Dreimal wurde sie weiter verbunden , dann endlich hatte sie ihn am Apparat. In wenigen Sätzen erklärte sie den Grund ihres Anrufs.
„Der Junge hat ein Kreuz und darunter eine Figur gemalt!“
„So?“
„Ja! Er kann sich seinen Erinnerungen nur aus einer sehr weiten Distanz nähern. Er fliegt darüber, er malt die Dinge aus der Vogelperspektive!“
Eine kurze Pause, Pilmers näselnde Stimme:
„Aus der Vogelperspektive.“
„Ja! Gibt es denn keine Hinweise, auf das, was dem Jungen geschehen sein könnte?“
„Wir ermitteln, Miss O’Reilly“, erwiderte er, und sie überhörte nicht seine Ungeduld.
„Verstehen Sie, Detective, ich bin ganz sicher: Er hat ein Grab gemalt!“
„Ein Grab. Gut , Miss O’Reilly. Ich habe alles notiert.“
„ Ich habe nicht den Eindruck, dass Sie das besonders interessiert. “ Sie war etwas lauter geworden.
„ Doch, s icher, Miss O’Reilly.“
Es klang alles andere als ehrlich. Entmutigt legte sie auf.
„Alles okay?“, fragte Nancy.
Joanna schüttelte den Kopf und ging ohne eine weitere Antwort hinaus. Erst als sie im Auto saß und den Motor anließ, hielt sie einen Moment inne. Sie fühlte sich im Stich gelassen und unverstanden - von der Polizei, von Marc , von Dr. Aylett . Sie gab Gas, fuhr nach Hause, das nicht mehr ihr Zuhause war.
Ein altes, abgetragenes Leben hing in den Räumen. Im Bad wusch sie sich die Hände – und s ah im Spiegel in ein fremdes Gesicht. Sie setzte sich auf den Toilettendeckel und weinte.
Irgendwann hörte sie, wie Marc in die Wohnung kam , a ber sie blieb sitzen und blickte erst auf als er im Türrahmen stand. Sein plötzliches Lächeln w irkte unecht , se ine Bestürzung über ihre rotgeweinten Augen auch.
„ Marc , es ist vorbei .“
„Aber Joanna, warum...?“
„Du willst es einfach nicht wahrhaben, Marc .“ Mühsam stand sie auf .
„Joanna, hör zu, ja, ich gebe zu, es war schwierig in der letzten Zeit, aber...“
„Ach Marc , das hast du schon so oft gesagt.“
„Joanna, lass es uns noch mal versuchen! Bitte!“
Sie schüttelte den Kopf .
„ Marc , wir haben es doch schon so oft versucht .“ Sie ging an ihm vorbei, warf eine Reisetasche aufs Bett, legte ein paar Kleider rein , machte den Reißverschluss zu, nahm die Tasche und ging zur Tür. Dort hielt er ihren Arm
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