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Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly Arcan
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nahm meinen Kopf in die Hände. In solchen Momenten war das Koks ziemlich hilfreich, es konnte mich von deinem guten Recht überzeugen. Irgendwann hast du davon genug gehabt, nach mir zu suchen, um mich aus meiner Schmollecke zu holen, und hast mich einfach machen lassen; ich wußte, daß du dann immer an Nadines Lächeln dachtest, das sie so sichtbar machte, daß sich die Menschen in Trauben um sie schar-ten. Du meintest, es wäre Neid, aber im Grunde war es nur mein Überlebenswille. Schaben bleiben auch im Dunkeln, um zu überleben, weil sie wissen, daß ihre Häßlichkeit im Licht des Tages unerträglich wird.
    Du hast meine Art gehaßt, in allem immer das Schlimmste zu sehen, in Heiterkeitsausbrüchen und Verfolgungsjagden um einen Tisch, weil man den anderen kitzeln möchte, in Kinderspielzeug, auf dem der Hersteller, um Prozesse zu vermeiden, die Möglichkeit vermerkt hat, daß es unter bestimmten Umständen Feuer fangen oder explodieren könnte, und, das war das Schlimmste vom Schlimmen, im Frühlingsglück der Verliebten, wenn man an einem sonnigen Tag hinaus-geht, um der eigenen Einsamkeit zu entfliehen. Mein Großvater sah Paare, die sich auf Parkbänken küßten, immer mit scheelem Blick an, für ihn war das eine Perversion, für mich war es die Inquisition.
    Du hast meinen Defätismus gehaßt, weil er ein Wider-spruch zu deinem Kolonialismus war, aber es hat dir gefallen, daß sich mein Buch in Frankreich gut verkaufte, weil sich daran zeigte, daß ich aus der Herde ausgebro-chen war. Du hast es gehaßt, wenn ich dir Vorwürfe machte, aber es hat dir gefallen, daß die Franzosen mein Buch mochten. Du wußtest noch nicht, daß die Zerstö-
    rung, die sich überall verkauft, auch aus Büchern kommen kann. Für dich hieß schreiben bloß schreiben und nicht tagtäglich sterben, für dich hieß schreiben, eine informative Geschichte zu erzählen, nicht, sich zu quälen, dein Journalismus sei wirkungsvoll, hast du einmal gesagt, mein Schreiben schädlich. Für dich hieß schreiben auch recherchieren im Internet, und das war ein Teil des Vergnügens. Du hast mein Buch nicht gemocht, du mochtest nur meinen Erfolg, für dich bestand zwischen beidem kein Zusammenhang. Du hast in mir eine geöffnete Tür gesehen, du sahst dich an meiner Stelle.

    Mit den verschiedenen Männern, die in mein Leben traten, verknüpften sich auch unterschiedliche Gründe zu sterben. Mein dreißigster Geburtstag stand als Todesda-tum schon seit langem fest, nur die Gründe haben sich verändert, von der Lektion, die man den anderen erteilen will, bis zum eigenen Rückzug in mustergültiger Fügsamkeit; ich weiß nicht, wo ich stehe zwischen Tyrannei und Gehorsam; bevor ich sterbe, hätte ich das gern noch geklärt. Was dich betrifft, werde ich sterben, um dir Recht zu geben und mich deiner Überlegenheit zu unterwerfen, aber auch, um dich zum Schweigen zu bringen und deinen Respekt zu erzwingen. Tote sind unangreif-bar, Tote verschlagen einem die Sprache, sie werden behandelt wie rohe Eier. In einer Wand meiner Wohnung habe ich einen riesigen Nagel eingeschlagen, um mich daran aufzuhängen. Vorher werde ich einen Cocktail aus Alkohol und Schlafmitteln zu mir nehmen, und um nicht einzuschlafen, bevor ich mich erhänge, werde ich mich mit dem Strick um den Hals besaufen, werde ich mich auf einem Stuhl stehend besaufen, bis ich bewußtlos umfalle. Ich will nicht mehr da sein, wenn der Tod kommt. Ich werde auch sterben, weil ich, um geliebt zu werden, hätte lächeln müssen. Ich werde sterben, um zu beweisen, daß Lächeln eine andere Art ist, sich aufzuspa-ren, genau wie der Schlaf. Du hast mich geliebt, aber die Traurigkeit auf meinen geschlossenen Lippen hast du gehaßt, weil sie auch glückliche Momente überdauerte, wie Körpergeruch den Duft des Lavendels. Es kam schon vor, daß ich gelächelt habe, doch das Lächeln trauriger Menschen hat immer etwas Angestrengtes, es braucht seine Zeit, es ist wie ein Fohlen, das, kaum aus dem Bauch seiner Mutter geschlüpft, auf wackligen Beinen stehen will; dafür benötigt es schon mehrere Versuche, bei denen es unter den Augen seiner hilflosen Mutter schwankt, stolpert und aufs Maul fällt. Meine Mutter hat mich einmal an meinem Geburtstag geschlagen, als ich eine neue Puppe im Arm hielt, weil es ihr zu lange dauerte, auf meine Freude zu warten. Schon früh im Leben habe ich begriffen, daß man gefälligst glücklich zu sein hat; seither stehe ich unter Druck.

    A n dem Abend im Nova waren wir

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