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Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly Arcan
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vorgehaltener Hand, als wollte ich die Jahre meiner Prostitution vergessen machen. Dann habe ich dir das Versprechen abgenommen, mein Buch auf keinen Fall zu lesen, was du für einen Scherz gehalten hast, weil du nicht wußtest, daß ich niemals scherze. Deine Kälte an diesem Abend hätte man dem Koks zuschreiben können, doch es war nur dein Franzosentum, das man dir von klein auf beigebracht hatte, es hieß, Distanz zu wahren und jeden Überschwang zu vermeiden, insbesondere wenn man jemandem gratulierte, es hieß, dem anderen gegenüber die Haltung von Eltern einzunehmen, die ihr Kind bei seinen ersten Schritten von oben herab ermun-tern.
    Die Erziehung durch deinen Vater erfolgte über deine Mutter, er sprach nie direkt mit dir, und wenn er dich ermahnte, dann in der dritten Person. Gefühle zeigte er ohnehin nur hinter seinem Teleskop, zum Beispiel wenn er auf einen Kometen wartete, dann erging es ihm wie einer Soldatenbraut, die der Heimkehr ihres Liebsten aus dem Krieg entgegenfiebert. Die Ankunft des Kometen war ungewiß, es war durchaus möglich, daß er nicht zur vorgesehenen Zeit vorbeikam, weil die dem Chaos ent-steigenden Strömungen ihn mit sich fortgerissen hatten.
    Dein Vater fürchtete, daß die Ordnung des Universums sich rückläufig entwickeln könnte, deshalb beobachtete er den Himmel, in dem er seine geliebten Novae und Supernovae fand, die aus dem Zerfall des atomaren Zusam-menhalts der Sterne entstehen, er nannte diesen Moment die »Eisenkatastrophe«. Der größte Wunsch seines Lebens war, einmal diesen Moment zu erleben, wenn die Sterne ihr Gas verströmten, in dem sich vielleicht die Seele befand, er wollte statt explodierter Sterne Sterne explodieren sehen. Er wollte die Gesetze der Physik dabei erwischen, wie sie an ihrer Aufgabe scheiterten, die Atome zusammenzuhalten, aus denen die Sterne bestan-den, als wäre dies der Beweis für ein Versagen Gottes. Er war davon überzeugt, daß die Erde von einem Tag auf den anderen aufhören könnte, sich zu drehen, und Frankreich in ewiger Nacht entschliefe; eigentlich war er meinem Großvater ähnlich.
    Er hatte mit dir schon das Problem der degenerierten Materie besprochen, in der sich die Elektronen von ihren Atomen lösten und irgendwo herumschwirrten, was er für einen Beweis dafür hielt, daß die große kosmische Uhr sich verstellte und das Universum seinem Zerfall entgegenging. Er hatte dir auch von der Möglichkeit erzählt, daß sich die schwarzen Löcher unkontrolliert vermehrten, Punkte der Finsternis, die in ihrer rasanten Rotation sogar Raum und Zeit mit sich rissen, bis sie am Ende das ganze Universum verschluckten. Noch ein mögliches Ende hatte er dir geschildert, und das war das schrecklichste von allen, weil es in einer für das menschliche Denken unerträglichen Einsamkeit und Traurigkeit stattfinden würde: der thermische Tod. Die Sterne entfernten sich nämlich in immer schnellerer Ausdehnung immer weiter voneinander, die Expansion dränge die schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt unerreichbaren Grenzen noch weiter zurück. Durch die fehlende Nähe untereinander könnte eine progressive Erkaltung der Sterne eintreten, bis sie eines Tages völlig bewegungsunfähig wären.
    Ebenso könnte das Feuer des Universums ein für allemal erlöschen und das Universum zu Staub zerfallen.

    D aß du mir im Nova von deinem Traum erzähltest, brachte dich ihm ein wenig näher. Du hattest gute Gründe für deine Absicht, mich zu lieben: Mit mir war die Liebe keine vollendete Tatsache, sondern ein Projekt. Seit diesem Abend konnte ich mich nicht mehr von dir trennen, ich hatte mich in deinem Gedächtnis gesehen, ich hatte als Person schon einen Platz in deinem Denken und glaubte zum ersten Mal seit Ewigkeiten an mich.
    Du hattest die Absicht, mich wahrhaft zu lieben, wie man so sagt, um die große Liebe von der Liebe großer Brüder zu unterscheiden, du wolltest der Mann meines Lebens werden, nur nicht gleich; nach der Prüfung meiner gesellschaftlichen Anerkennung mußte ich noch das Fick-Examen bestehen, die Möse einer zweitausendfach gefickten Frau könnte zu ausgedehnt sein, um einem das Gefühl zu geben, daß er richtig steht. Wenn ich an all die Männer denke, denen ich für Geld einen geblasen habe, wenn ich bedenke, wie viele Männer sich vor meinen Internet-Fotos einen runterholten, wenn ich, was das Schlimmste ist, bedenke, wieviel ich zur Verführung der behexten Massen beigetragen habe, die glauben, daß die Frauen sie brauchen,

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