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Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly Arcan
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schrieben wir im Café, weil uns die Idee gefiel, im Schaffensrausch gesehen zu werden, wir hätten gern eine Kunstrichtung begründet und ein Manifest dazu verfaßt, wir wären gern die Urheber einer geistigen Strömung gewesen. Die anderen Leute in den Cafés erschienen uns wichtig, um unser Streben mit einem human touch zu versehen, in unserem Narzißmus war immer Platz für das Menschliche.

    Trotz aller Anstrengungen habe ich während unserer ganzen Geschichte nichts geschrieben, und wenn du mich gefragt hast, wie mein Tag war, mußte ich dich genauso belügen wie die Männer zu der Zeit, als ich mich prosti-tuierte. Die Liebe hat mich gelähmt, ich hatte nichts mehr zu sagen, seit mein Leben von dieser neuen Freude erfüllt war. Du hast Artikel geschrieben und deinen Roman und ich nichts, besser gesagt irgendwas, Schnipsel, mißglück-te Novellen und eine sterbenslangweilige Magisterarbeit über die Theorien Lacans, in der auf der Grundlage der Lacanschen Theorien bewiesen wurde, daß diese immer stimmen. Es könnte sein, daß ich monatelang darauf gewartet habe, daß du gehst, um dir dann alles in die Schuhe zu schieben, das habe ich früher mit meinen Freiern genauso gemacht.

    Wir hatten beide unsere Vorstellung vom Schreiben. Für dich hieß Schreiben, alle Welt durch neue Ideen zu tabuisierten Themen zu überraschen, für mich, mir Zeit zu lassen, bis niemand mehr etwas erwartete. Die Kehr-seite meines ersten Buches war das enorme Gewicht, mit dem es das zweite erdrückte. Das Problem mit dem ersten Buch bestand darin, daß alle es mochten, aber keiner es bis zum Ende gelesen hatte, und diese Kapitulation meiner Leser hinderte mich an der Fertigstellung des zweiten; sagen wir, daß wir Komplizen waren, meine Leser und ich, ich hatte sie gelehrt, daß auch Kotzen eine Art zu schreiben ist, und sie haben mir zu verstehen gegeben, daß Talent einen ankotzen kann.
    Für mich war Schreiben Verrat, Schreiben hieß Brüche sichtbar machen, das Mißglückte zeigen, die Geschichte der Narben, die Geschicke einer zerstörten Welt. Schreiben offenbarte, was sich hinter der Fassade der Menschen verbarg, das erforderte einen gewissen Sadismus, die Auswahl der Menschen um einen herum und vor allem eine irrsinnige Liebe, um das Schlimmste aus ihnen herauszuholen. Du hast ganz anders geschrieben, du warst charmant. Du warst auf der Seite der Superhelden, der sympathischen Typen, der Aufreißer und feuchten Mädchen, für dich war Schreiben ein Aufschwung, der beim Leser jedes Unwohlsein vertreiben sollte, anders als bei mir, der Leser sollte sich heimisch fühlen unter den Aufreißern und feuchten Mädchen, Schreiben hieß für dich Kompensieren, Heldentum als Revanche für die eigene Mittelmäßigkeit.
    Dein Schreiben hat mich nicht interessiert, du schon.
    Deine Schönheit rechtfertigte alles, was du schriebst, wenn ich etwas von dir las, abgesehen von den Passagen, die ich aus Eifersucht nicht lesen konnte, sah ich dich schreibend vor mir im Café und hatte ein Problem mit der Nähe, ich sah dich in deiner Schönheit, die den ganzen Raum einnahm, ohne mich zu meinen, und mußte begreifen, daß du schon existiert hast, bevor ich für dich existierte, ich wurde von deiner Vergangenheit verhöhnt und aus deinem Leben gedrängt. Jedenfalls war deine Schönheit der Rahmen für alles, was du tatest, du warst ein bißchen wie DJ Mouse, in deiner Männlichkeit lag eine weibliche Anziehungskraft.
    Anfangs versuchte ich mein Schreiben zu beflügeln, indem ich mir viele Fragen zu dir stellte. Ich saß im Pèlerin und überlegte, was wohl die Kundschaft im Café So sah, vor allem die Frauen waren sicher überwältigt von deinen breiten Schultern vor dem aufgeklappten Laptop, von deinen braunen Augen und den starken Brauen, von deinem kantigen Kinn und dem großen Mund, den ich nur küssen konnte, wenn ich auf den Zehenspitzen stand, von deiner Größe, die auch im Sitzen beeindruckend war und dem, was du schriebst, in ihren Augen sicher großes Gewicht verlieh, und wenn du noch dein Gesicht in deine Hand gestützt und mit den Augen durch die Finger geblinzelt hast, waren sie sicher hin und weg. Für sie schriebst du wahrscheinlich Liebesgedichte, und deine Worte wußten in ihren Träumen genau, was sie von dir wollten. All diese Frauen, die dich sahen, konnten sich jederzeit von ihrem Tisch erheben und dich um Feuer bitten, sich für das interessieren, was auf deinem Bildschirm stand, und sich über dich neigen, um ihr Dekollete

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