Hoerig
auf deine Augenhöhe zu bringen, am nächsten Tag wiederkommen, um die Verbindung zu halten, und vielleicht eine Affäre mit dir zu haben, wer weiß.
Beim Schreiben lernt man, daß das Schreiben seine Launen hat, die es in einer vertrauten Umgebung ausle-ben will, und daß es keine Autobahn braucht, um abzu-hauen, eine Straßenecke genügt. Es kommt oft aus Langeweile, weil man sich jeden Tag an denselben Tisch setzt und die Bedienung so vergeßlich ist, es kommt aus der Leere sonniger Nachmittage und immer dann, wenn man nicht schaut, was draußen passiert. Im Zug nach Prag ist mir nichts eingefallen, weil ich zuviel Neues sah, also nahm ich am anderen Ende der Welt meine alten Trampelpfade wieder auf und beschrieb das Pèlerin, den Spiegel gegenüber dem Tisch, an dem ich gewöhnlich saß. Bei meiner Rückkehr stellte ich zu meiner Überraschung fest, daß er rechteckig war statt oval, wie ich ihn im Zug nach Prag beschrieben hatte, aber im Grunde genommen hat die Form der Dinge, in denen man sich selbst betrachtet, keine große Bedeutung. Nach mehreren Jahren Schreiben in Cafés kann ich bestätigen, daß man sein Café gefunden hat, wenn man dort weinen und gleichzeitig im Spiegel sein Aussehen überprüfen kann, ohne daß die anderen es merken.
Für dich war die Schriftstellerei ein alter Traum, für mich der Endpunkt meiner Asozialität. Dir ging es um das Bild des Autors, den man im Café an seinem Buch schreiben sieht: Jede Etappe des künftigen Werks durchleidend mit zweifelnd gefurchter Stirn, sitzt er tief gebeugt an seiner Tastatur, seiner Aufgabe müde, der Blick so leer wie die Seiten in der Erwartung des großen Wurfs. Du würdest auf den Werbefotos für deinen künftigen Roman eine Zigarette rauchen, hast du einmal zu mir gesagt, Schriftsteller müßten sich jeder Form der Propaganda sichtbar entgegenstellen, vor allem der der Baby-Boomer von der amerikanischen Westküste.
Daß du schreibst, hat mich lange vom Schreiben ab-gehalten. Wäre deine Liebe für immer gewesen, hätte ich es ganz aufgegeben. Als du in mein Leben kamst, habe ich dir allen Raum gegeben, wohl wissend, daß du nie soviel von mir verlangt hast, zuviel zu geben ist eine Verhaltensabweichung, ein Koordinationsproblem, das weiß jeder, wer zuviel gibt, schenkt Dinge, die keiner braucht, Stricksachen zum Beispiel oder Babyfotos. Oft gibt man, um anderen ihre Herzlosigkeit vor Augen zu führen. Mein Großvater war so, ein großer Wohltäter der Menschen, die nichts von ihm wollten und von seiner Großzügigkeit fast erschlagen wurden. Es drängte ihn, Geschenke zu machen, das war seine Art, die Waffen zu strecken, er mußte sich der materiellen Güter seines Lebens entledigen, die ihn an dem Tag, da Gott ihn zu sich holen würde, belasten könnten. In seinem Elend hatte er sicher nur den Wunsch, daß seine Seele nackt und makellos vor ihren Richter trat, so daß Gott ihn an seinen Worten messen könnte und sich schämte; ich habe noch viele Dinge von ihm, seine Hütte, sein Boot, mit dem er immer hinausfuhr, um Regenbogenforellen zu fangen, und ein Gebetbüchlein aus den dreißiger Jahren mit dem Titel Der Tag des Herrn. Auf der ersten Seite war eine Stelle, wo man Namen und Adresse eintragen konnte, was einem sozusagen das Besitzrecht an diesen Gebeten verlieh. Seither habe ich aufgehört zu beten, weil ich immer die Möglichkeit sah, daß die Gebete unterwegs verloren gehen und womöglich den falschen Adressaten erreichen.
Ich hätte es lieber gesehen, wenn du kein Journalist gewesen wärst. Viele Journalisten wollen einen Roman verfassen und fallen dabei vor den menschlichen Dramen auf die Knie. Zur Begründung deines Wunsches hast du angeführt, der knapp bemessene Platz für deine Artikel und das Erfordernis eines sachlichen Tonfalls hinderten dich, dein Bestes zu geben und das Zustandekommen deiner Ansichten ausführlich darzustellen. Ich konnte dazu nichts sagen, weil dein Traum vom Schreiben anscheinend auf dem Mißverständnis beruhte, Schreiben hätte etwas mit Autonomie und Meinungsfreiheit zu tun, die der Wahrheit zum Triumph verhilft; Schreiben befreit nicht, im Gegenteil, es entfremdet und legt einem die Schlinge um den Hals.
Im Nova hast du zu mir gesagt, als Journalist hättest du natürlich von mir gehört und mich sogar schon im Fernsehen gesehen, aber noch keine Zeile von mir gelesen.
Du hast das so kalt gesagt, daß mich an deiner Statt die Gefühle übermannten, ich wurde rot und kicherte wie blöde hinter
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