Hoffnung am Horizont (German Edition)
war.“
Jonathan atmete schnell ein. „Oder ihr Vater. Ich würde mich über ein Mädchen genauso sehr freuen wie über einen Jungen.“
Sie lächelte, dann zögerte sie, da sie spürte, dass er sich auf eine Weise, die sie nicht erklären konnte, von ihr entfernte. Eine alte Angst stieg in ihr auf. „Hast du Angst?“, flüsterte sie.
Er schaute sie mit gerunzelter Stirn an. „Vor dem Tod?“
Sie nickte langsam.
Nach einer Minute schüttelte er den Kopf. „Nein. Aber ich wünschte, ich hätte meine Tage auf Erden bewusster gelebt.“ Er verzog das Gesicht, dann atmete er aus und entspannte sich wieder. „Wenn ich das getan hätte, hätte ich vielleicht auch etwas Besseres aus meinem Leben gemacht.“
Sie schwiegen beide.
Annabelle wünschte sich so sehr, sie könnte mehr für ihn tun. Sie legte sich wieder hin und betrachtete den Nachthimmel, der durch die Öffnung des Planwagens zu sehen war. Sterne überzogen wie winzige Lichter den Himmel und leise flüsternd wehte der Wind über ihren Körper. Obwohl Jonathan sie in vielerlei Hinsicht wirklich freigekauft hatte, lag ihre Rettung nicht in den Armen des Mannes, der sie jetzt festhielt, und war auch nicht in seiner Liebe zu finden, so sehr diese Liebe auch zu ihrer Befreiung beigetragen hatte. Ihre Erlösung verdankte sie einem anderen Mann. Diesem Mann war sie nie von Angesicht zu Angesicht begegnet, aber sie wusste, dass er real war.
Sie drückte sich enger an Jonathan und sein Arm umschlang sie fester.
„Ist dir kalt?“
Sie zuckte leicht mit den Achseln. „Nur ein bisschen.“ Selbst jetzt dachte er an sie. Was sie von Jonathan wollte, was sie von ihm brauchte, bevor er starb, war nicht die Wärme seines Körpers, sondern die Flamme, die kräftig und hell in ihm brannte. Die Flamme, die einen Mann wie ihn veranlasst hatte, eine Frau wie sie zu beachten. Die Flamme, die in ihr schon allein durch seine Nähe den Wunsch weckte, ein besserer Mensch zu sein.
Später in der Nacht wachte Annabelle mit einem Gefühl auf, das sie nicht genau erklären konnte. Ein kühler Maiwind bewegte die Wagenplane in der Dunkelheit und sie lag eine Weile still da und lauschte dem gleichmäßigen Prasseln der Regentropfen auf das Wagendach über ihr.
Sie hob die Hand, um Jonathan zu berühren. Da wusste sie es.
Genauso leise, wie er in ihr Leben getreten war, war Jonathan McCutchens wieder aus ihrem Leben entschwunden.
* * *
Den Rest der Nacht lag Annabelle hellwach da. Sie war still und bewegte sich nicht, aber ihr Körper berührte Jonathan nicht mehr. Als sich der schwache hellrote Schein der Morgendämmerung über die Prärie legte, zog sie die Decke enger um sich und drehte sich auf die Seite, konnte aber die eisige Kälte trotzdem nicht vertreiben.
Der Regen der Nacht erfüllte die kühle Morgenluft mit einem ungewohnt süßen Duft, der aber die Einsamkeit, die in der Welt außerhalb dieses Wagens auf sie wartete, nicht erträglicher machen konnte.
Da Jonathans Herz sein rhythmisches Schlagen eingestellt hatte, wünschte sie sich beschämt, sie wäre mit ihm gestorben. Gleichzeitig konnte sie fast hören, wie er sie aufforderte, nicht aufzugeben und weiterzumachen. Aber die Stimme, die sie nur in ihrer Fantasie hörte, verstummte angesichts der Angst, die ganz real in ihr aufstieg.
Sie schloss die Augen und zwang sich, sich darauf zu konzentrieren, was außerhalb der schützenden Stille des Planwagens geschah, wo die Natur neu zum Leben erwachte: Ein kleines Tier lief raschelnd durch das spärliche Präriegras, ein leichter Wind bewegte die Wagenplane, und in der Ferne muhte ihre Milchkuh, und die Glocke, die um den Hals des Tieres gebunden war, läutete. Sie hatte die Milchkuh gestern am Spätnachmittag an den Wagen gebunden, aber der Eigensinn des Tieres war offenbar stärker gewesen als Annabelles Knoten. Wieder einmal. Jonathan hatte recht: Sie musste ihren Knoten noch ein wenig üben.
Während sie daran dachte, wie er sie damit aufgezogen hatte, setzte sich Annabelle langsam auf und drehte sich um. Mit einer vorsichtigen Berührung streichelte sie die regungslose Brust ihres Mannes, ohne ihrer Hand zu erlauben, zu lange zu verweilen.
Sie sah ihm ins Gesicht. Es strahlte Frieden und Ruhe aus. Doch er war tot.
Ihre Stimme war nur ein leises Flüstern. „Was soll ich nur in dieser neuen Welt ohne dich machen, Jonathan? Wie soll ich mich darin zurechtfinden?“
Wenn sie ehrlich war, wollte sie das gar nicht. Ohne ihn und seine liebevolle
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