Hoffnung am Horizont (German Edition)
Anleitung wollte sie nicht weitermachen.
Ein dumpfer Schmerz lief ihr über den Rücken und zwang sie, sich anders hinzusetzen. Sie hörte etwas rascheln.
Der Brief.
Sie hielt das gefaltete Blatt Papier ins frühe Morgenlicht und erkannte schwach Jonathans Handschrift. Fast konnte sie die Worte erkennen.
Der Brief war nicht versiegelt. Er steckte in keinem Umschlag.
Sie kniff einen Moment die Augen zusammen, um etwas entziffern zu können, wandte dann aber den Blick wieder ab. Sie ließ den Brief sinken, faltete ihn zusammen und steckte ihn in ihr Mieder. Zusammen mit dem laut ausgesprochenen Versprechen, den Brief Pfarrer Carlson zu überbringen, hatte sie im Stillen ihrem Mann ein zweites Versprechen gegeben, das im Tod genauso bindend war wie im Leben.
Kapitel 1
A nnabelle trieb ihre Pferde auf der südlichen Route zurück zum Pikes Peak kräftig an und machte in Denver nur Halt, um Jonathans Leichnam für die Beerdigung vorbereiten zu lassen. Am siebten Tag nach Jonathans Tod erreichte sie kurz vor Sonnenuntergang den Ortsrand von Willow Springs. Erleichterung vermischte sich mit der Traurigkeit in ihrer Brust, als sie die bekannte Stadt wiedersah. Sie hatte gedacht, sie hätte diesen Ort für immer verlassen. Sein Anblick weckte viele Erinnerungen in ihr, zum Beispiel an etwas, das Jonathan zu ihr gesagt hatte, als sie im letzten Herbst ihren Umzug nach Denver vorbereiteten.
„Du bist jetzt eine neue Frau, Annabelle McCutchens. Die Menschen in Denver kennen uns nicht.“ Er hatte immer so gesprochen, als stünde sie auf einer Stufe mit ihm. Daran hatte sie sich nie ganz gewöhnen können. „Sie gehen davon aus, dass du das bist, was man äußerlich an dir sieht, und sie haben recht.“ Er strich mit seiner Hand leicht über ihre dunklen Haare, aus der sie die rote Farbe herausgewaschen hatte, streichelte ihr Gesicht und schaute in ihre blauen Augen, die jetzt nicht mehr mit Wimperntusche und Kajalstift künstlich betont wurden. „Sie werden sehen, was ich sehe: eine Dame. Eine schöne, junge Ehefrau, die mit ihrem gut aussehenden Ehemann in die Stadt zieht.“
Annabelle wurde bei der Erinnerung an diese Worte und an das verspielte Augenzwinkern, mit dem er sie bedacht hatte, warm ums Herz. In seinen letzten Stunden hatte Jonathan ihr klargemacht, dass er gern hier in Willow Springs zur letzten Ruhe gelegt werden würde. Während sie durch die Stadt zum Haus des Pfarrers fuhr, musste sie unweigerlich daran denken, wie sie sich kennengelernt und hier in der Nähe des Fountain Creek geheiratet hatten. Sie brachte ihren Mann nach allem, was er für sie getan hatte, gern zu ihrem ersten gemeinsamen Zuhause zurück. Aber in ihrem Herzen wusste sie, dass Jonathan McCutchens schon längst zu Hause war.
Sie sah im Geiste die schöne Pinienkommode vor sich, die er ihr als Hochzeitsgeschenk gebaut hatte und die jetzt, zusammen mit anderen Dingen, die sie zurückzulassen gezwungen gewesen waren, verlassen in der Prärie stand. Nur wenige Tage nachdem sie Denver verlassen hatten, waren Jonathans Brustschmerzen schlimmer geworden. Einige Männer aus Jack Brennans Wagentreck hatten das Möbelstück aus dem voll beladenen Planwagen gehoben, damit Jonathan sich im Wagen, wo er vor der Hitze des Tages geschützt war, ausruhen konnte. Inmitten der vielen Lebensmittel, die sie dabeihatten, war trotzdem kaum genug Platz für Jonathan gewesen. Wenn er jetzt noch hier wäre, würde er ihr sicher sagen, dass sie nicht um die Kommode trauern sollte, die zu den Dingen gehört, die auf Dauer sowieso keinen Bestand haben. Das wusste sie natürlich, aber trotzdem …
Sie lenkte den Wagen in eine Seitenstraße und erblickte Pfarrer Carlson schon aus einiger Entfernung, wie er neben dem weißen Pfarrhaus Holz hackte.
Er drehte sich kurz um und warf einen flüchtigen Blick in ihre Richtung, bevor er sich wieder seiner Arbeit zuwandte. Doch dann wurde er ganz still. Er drehte noch einmal den Kopf. Die Axt in seiner Hand glitt zu Boden.
Er kam zum Wagen und half ihr beim Absteigen. Aus seiner Miene sprachen Fragen und Besorgnis. Patrick Carlson schaute an ihr vorbei in den Wagen hinein. Annabelle beobachtete sein Gesicht, in dessen Zügen sich der Schock widerspiegelte, als er von Jonathans Tod hörte, sich mit Unglauben vermischte und dann nach und nach einem traurigen Akzeptieren wich.
Er nahm den Brief, den sie ihm gab. Während er ihn las, legte sich eine unsichtbare Last auf seine Schultern. „Wann hat Jonathan das
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