Hoffnung am Horizont (German Edition)
geschrieben?“
„An dem Tag, an dem er starb. Ich musste ihm versprechen, Ihnen den Brief zu bringen.“ Hilfe anzunehmen, besonders von Männern, war Annabelle noch nie leichtgefallen. Der Pfarrer stellte natürlich keine Bedrohung für sie dar, aber als sie den Ernst in seinen Augen sah, wünschte sie fast, sie hätte den Brief gelesen, bevor sie ihn ihm gegeben hatte. „Ich hoffe, Jonathans Bitte ist keine zu große Belastung für Sie, Herr Pfarrer. Worum er Sie auch bittet, er hat Sie damit bestimmt nicht belasten wollen.“
„Sie haben diesen Brief nicht gelesen?“
Sie schüttelte den Kopf und schaute auf ihre Hände hinab, die sie vor ihrem Bauch verkrampft hatte. „Jonathan hat nicht gesagt, dass ich ihn nicht lesen könne. Er hat nur gesagt, dass er ihn an Sie geschrieben hat, also hielt ich es für besser, wenn ich lieber nicht …“ Als Pfarrer Carlson ihren Arm berührte, hob sie das Kinn.
„Dieser Brief besagt, dass Jonathan Sie sehr geliebt hat, Annabelle, und dass er für Sie sorgen wollte …“ Eine leise Frage und ein leichtes Funkeln traten in seine Augen. „Und für sein ungeborenes Kind.“
Annabelle beantwortete die nicht ausgesprochene Frage mit einem Kopfnicken. „Wir fanden es kurz bevor wir Denver verließen heraus. Er hat sich sehr gefreut.“
„Hannah wird es das Herz brechen, wenn sie von Jonathan hört, aber wenn Sie ihr auch Ihre guten Neuigkeiten mitteilen, wird sie sich sehr freuen, Annabelle.“ Er deutete zum Weg, der zum Haus führte. „Geht es Ihnen … gut?“
Sie ging neben ihm her und verstand seine nicht ausgesprochene Frage. „Größtenteils ja. Wenn die Müdigkeit und die Übelkeit in den letzten zwei Wochen nicht gewesen wären, wüsste ich gar nicht, dass etwas anders ist.“
„Hannah kann das zweifellos gut nachempfinden. Und sie kann Ihnen viel bessere Ratschläge geben als ich.“ Sein Tonfall wurde wieder sehr ernst. „Ich nehme an, Jack Brennan und sein Treck sind in den Norden weitergezogen?“
„Ja, nachdem sie einen Tag mit uns gewartet hatten. Jack Brennan ist ein guter Mann, und seine Leute haben getan, was sie konnten.“ Sie erzählte ihm von ihrer Rückfahrt durch Denver und dass der Bestattungsunternehmer Jonathan für die Beerdigung vorbereitet und einen Sarg für ihn gebaut hatte. „Wir können mit der Beerdigung nicht mehr lange warten.“
Patrick schaute zum Wagen zurück. „Ich kann mich gern um alles kümmern, wenn Sie einverstanden sind.“ Als sie nickte, nahm er ihren Arm, führte sie die Verandastufen hinauf und rief dann Hannahs Namen. Er drehte sich zu Annabelle um. „Jonathans Tod tut mir so leid, Annabelle! Aber noch bevor Sie oder Jonathan von seinem Schicksal wussten, litt Gottes Herz schon mit Ihnen beiden. Ich hoffe, Sie glauben mir das.“
Obwohl sie das nicht ganz verstand, nickte Annabelle und hoffte, ihr mangelndes Wissen über Gott würde das wenige Vertrauen, das sie hatte, nicht zunichtemachen. Bis vor Kurzem hatten sie und Gott nie wirklich viel miteinander gesprochen, und auch jetzt hatte sie das Gefühl, als würde in den letzten Tagen nur sie reden.
Die Angeln der Haustür quietschten und sie drehte sich um.
Hannah kam aus dem Haus. Das erfreute Lächeln, das über ihr Gesicht zog, gab Annabelle das unerwartete Gefühl, nach Hause zu kommen. Als Annabelle ihr flüsternd den Grund für ihre Rückkehr erklärte, legte Hannah die Arme um sie und zog sie an sich heran.
Die Sicherheit der Umarmung einer anderen Frau, die wortlose Sprache, die darin lag, tröstete Annabelle so sehr, dass die starke Fassade, die sie sich seit Jonathans Tod sorgfältig zugelegt hatte, sehr schnell in sich zusammenstürzte.
* * *
Spät an diesem Abend verließ Annabelle im Schutz der Dunkelheit das Haus der Carlsons und eilte durch die bekannten Seitenstraßen von Willow Springs ans andere Ende der Stadt. Als sie um die Ecke bog und das Bordell vor ihr auftauchte, blieb sie stehen. Es wiederzusehen, besonders nachts, das laute Lachen und die blechernen Töne, die auf dem Klavier gespielt wurden, zu hören, gab ihr das sonderbare Gefühl, völlig fehl am Platz zu sein. Die Fenster mit den roten Vorhängen im ersten Stock waren schwach beleuchtet, aber sie wusste, dass die Zimmer nicht leer waren.
Um diese Uhrzeit waren sie bestimmt nicht leer.
Ihr Blick wanderte zum dritten Fenster von hinten und sie wartete. Wie viele Nächte hatte sie, seit sie Willow Springs verlassen hatte, wach gelegen und sich Sorgen um
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